Jaruzelski: Alles ist möglich

■ Treffen des polnischen Präsidenten mit Oppositionschef Walesa / Solidarnosc: Entweder Regierungsbildung oder Schattenkabinett / Koalitionsregierung für Solidarnosc unannehmbar

Warschau (afp/taz) - Entweder wird die „Solidarität“ mit der Regierungsbildung in Polen beauftragt oder sie wird sofort ein Schattenkabinett nach britischem Vorbild bilden. Diese beiden Alternativen nannte der polnische Arbeiterführer und Oppositionschef Lech Walesa als Ausgangsposition seines gestrigen Gesprächs mit dem polnischen Staatspräsidenten Jaruzelski. Während Jaruzelski das bevorstehende Treffen mit der bemerkenswerten Äußerung „Ich glaube, daß alles möglich ist“ kommentierte, gab sich Walesa eher skeptisch. Er glaube nicht, daß der Präsident Solidarnosc mit der Regierungsbildung beauftrage. Walesa versicherte dennoch, die „Solidarität“ sei bereit, eine Ministerriege aufzustellen, die das scheidende Kabinett von Ministerpräsident Rakowski ablösen könnte.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in Warschau hatte Walesa am Montag abend betont, Jaruzelskis Vorschlag einer Koalitionsregierung sei für die Solidarität unannehmbar. Das gibt die Stimmungslage in der Solidarnosc-Fraktion wieder. Während einige Abgeordnete, etwa Jaczek Kuron, eine Koalitionsregierung mit den Kommunisten für überlegenswert halten, bleibt die Mehrheit der Fraktion auf die Maximalposition einer reinen Solidarnosc-Regierung fixiert. Die Vorliebe für diese Variante scheint jedoch eher auf ihrem wahrscheinlichen Scheitern als auf der Verantwortungsbereitschaft der Oppositionsparlamentarier zu beruhen.

Ganz unverständlich ist diese Haltung nicht, stehen doch mit der Freigabe des Lebensmittelmarktes krisenträchtige Zeiten ins Haus. Die Preise werden voraussichtlich um das dreifache steigen, und der 80prozentige Lohnausgleich wird die steigenden Lebenshaltungskosten nicht decken, sondern in erster Linie die Inflation kräftig anheizen. Mit den vorhersehbaren Streiks wäre dann erstmals Solidarnosc mit Regierungsverantwortung konfrontiert.

Mit ähnlichen Visionen scheint sich auch der als neuer Ministerpräsident gehandelte Wladyslaw Baka herumzuschlagen. In den letzten Tagen signalisierte er in der Frage seiner möglichen Kandidatur eher Zurückhaltung. In einem Interview beschwor er den totalen Ruin der polnischen Wirtschaft, falls die bisherige Wirtschaftspolitik fortgesetzt werde.

eis