Heiligenseer fürchten den Sumpf

■ Bezirkspläne für neues Feuchtbiotop in Heiligensee stoßen auf erbitterten Widerstand / Anwohner wollen lieber einen Supermarkt / „Grün haben wir genug“

Hinter einem dichten Wald, dem Tegeler Forst, liegt Heiligensee. Dort gehen die Uhren anders als in Berlin. Kämpfen die Berliner für mehr Grün, fürchten die Heiligenseer, von Grün erstickt zu werden. Erbitterter Widerstand ist die Antwort der Heiligenseer auf den Plan des Reinickendorfer Baustadtrates Rainer Hampel (SPD), am Ortseingang des Dorfes Alt-Heiligensee ein neues Feuchtbiotop anzulegen. „Heiligensee braucht keine weiteren Grün-, Sumpf- und Wasserflächen“, verkündet ein großes Plakat hinter dem Schaufenster des Gartenmöbelhändlers Hübner.

Hübners Protest ist verständlich. Denn dort, wo die Familie jetzt Gartenstühle aus Plastik, Rasenmäher und Zinnteller verkauft, soll sich eines Tages das neue „Naßbiotop“ hinstrecken, 80Meter breit, 200Meter lang. Die Landschaftsplaner des Bezirks hoffen, daß sich eines Tages entlang einer etwa 150 langen, neuen Wasserzunge Sumpfpflanzen, Erlen, Weiden und Eschen ausbreiten. Die Planer wollen einen Landschaftstyp wiederherstellen, der in Heiligensee in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgedrängt wurde: der Auenwald. Seerosen, Drosselrohrsänger, Grasfrösche und Plötzen sollen wieder einen Lebensraum bekommen - auf Kosten der Gartenzwerge.

Hübner fürchtet um seine Existenz und sieben Arbeitsplätze. „Gerüchte“, sagt Baustadtrat Hampel. Die einstöckige Ladenzeile, zu der Hübners Geschäft gehört, genieße Bestandsschutz. Der Landschaftsplan für Heiligensee sieht zwar vor, das künftige Sumpfgelände, sowie einen 20 bis 35 Meter breiten Uferstreifen am Niederneuendorfer See und Teile der Heiligenseer Fährhalbinsel zu „renaturieren“. Doch die Lauben und die Wohnwagen von Dauercampern, die in den letzten Jahrzehnten Alt-Heiligensee erobert haben, die dürfen hier vorerst stehenbleiben. Verbieten will der Bezirk an diesen Stellen lediglich den Neubau - und auch das nur, wenn die Landschafts- und Bebauungspläne unverändert durchkommen, die noch bis Montag zwecks Bürgerbeteiligung im Rathaus Reinickendorf ausgestellt werden. „Ich dachte mir, wir sind mal ganz mutig“, kommentiert Hampel seine Renaturierungspläne.

Den wird er noch brauchen. Die Amtsmitarbeiter, die im Rathaus die Pläne erläutern, müssen jetzt schon die Beschimpfungen erboster Bürger erdulden. Einige hundert Einwendungen sind im Rathaus bereits eingetroffen. Über Ursula Hübners Ladentisch sind insgesamt 700 Protestschreiben gewandert. Denn nicht nur die Freunde von Zinntellern und Gartenstühlen sind von Hampels Landschaftsplänen betroffen. Ein vorformuliertes Einwendungsschreiben nennt die Forderung vieler Heiligenseer: „Statt Grün, welches ja ausreichend vorhanden ist, benötigen wir dringend am Dorfanfang ein Einkaufszentrum.“ Die Ladenkette Reichelt wollte neben Hübners Betrieb nämlich einen Supermarkt bauen; den wird Hampel nun nicht genehmigen. Die „Bürgerinitiative Heiligensee“ fürchtet nicht zuletzt deshalb um die „bisherigen natürlichen Lebensgrundlagen“ Heiligensees und eine „menschenwürdige Umwelt“. Für alte und gehbehinderte Menschen müsse es im Dorf einen Supermarkt geben. Grasfrösche kann man schließlich nicht essen.

Baustadtrat Hampel findet diese Kritik ungerecht. Den Bau eines Supermarktes in Heiligensee will er schließlich überhaupt nicht verbieten - es gebe ja auch noch andere Grundstücke. Schließlich ist es nicht des Baustadtrates Absicht,ganz Heiligensee unter Wasser zu setzen und in ein Feuchtbiotop zu verwandeln. Neuerdings bekommt der Stadtrat auch Unterstützung aus Heiligensee - vor allem von den Inhabern anderer Geschäfte in Heiligensee, die die Konkurrenz von Reichelt fürchten. 200 Unterschriften haben sie schon gesammelt.

Ursula Hübner kann Hampels Verweis auf anderes potentielles Bauland im Dorf jedoch nicht überzeugen. „Hier steht doch jedes zweite Haus unter Denkmalschutz“, meint die Gartenmöbelverkäuferin verbittert. Jedesmal, wenn der Bus durchs Dorf fährt, merkt Frau Hübner, wie sehr Denkmal- und Naturschutz die natürliche Weiterentwicklung des Dorfes knebeln: „Wenn die Busse über das Kopfsteinpflaster donnern, dann fallen einem ja die Tassen aus dem Schrank.“

hmt