SCHWEISSZEIT

■ Avantgardemusik im Eiszeit

Einen salzigeren Vorgeschmack auf die Klimakatastrophe hätte es am Dienstag abend in dieser Stadt nicht geben können. Von der fröhlichen Eiszeit weit und breit keine Spur, hier wurde Avantgarde betrieben. Schwitz. Ned Rothenberg eröffnete den Sauna-Abend mit todernstem Gesicht und entlockte den in der ersten Reihe brav vor sich hindampfenden Musikstudenten durch seine zirkulare Atmungstechnik kleine Entzückensschreie.

Die schrägen Töne, die da so heftig aufs nasse Parkett prasselten, wurden jedoch vom „urbanen“ Publikum mehr oder weniger nur am Tresen vorne gehört, aufgehoben wohl noch weniger. Schwitz. Frenetischer Beifall aus dem Innenraum kritische Stimmen vom Tresen. Dazwischen suchte man verzweifelt „den Gesang der Inuit-Eskimos, die japanische Bambusflöte Shakuhashi und Bachs Musik für Violine und Cello“ (Pressetext) in Ned Rothenbergs Performance. Schwitzend. Und erfolglos. Man wartete auf den Aufguß von Elliott Sharp und Leah Singer. „Virtual Stance“ erforderte aber zeitlich noch einiges Stehvermögen.

Doch dann erwartungsvolles Gedränge. In sanftem Rotlicht stand der kahle Elliott Sharp und wollte uns zeigen, was seine zweihälsige „Double Neck“ Guitar alles aushalten kann. Und wir nicht. Sharp stand die Freude an seinem neuen Atari ST Computer, mit dem er die „vollelektronische Stammesmusik urbaner Androiden heraufbeschwört, nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Ernsthaft nestelte er abwechselnd an den zwei Hälsen seiner Gitarre und den Knöpfen seiner Anlage, während im Hintergrund Leah Singers Echtzeitmanipulationen von Dia und Filmmaterial die Leinwand beglückten. Ein Lichtblick. Schwitz.

Über feststehenden Dias werden Filmausschnitte hin- und herbewegt, teilen sich, finden wieder zusammen, der Lauf einer Gazelle vorwärts, rückwärts, ein roter Vorhang, der nicht fällt, dann wieder vier Filme im Quadrat, parallel. Aber nicht gerade zum Sound. Großflächig und brachial haute es einem da alle Sounds um die Ohren, die ein Computer heutzutage zu bieten hat. Kaum baut sich hier und da ein Rhythmus auf, fällt er mit einem Knopf-Dreh auch schon wieder zusammen. Das Publikum spaltete sich nun vollends. „Atonaler Scheißkrach“ schimpften die Gehenden, „exaktes mikrotonales Spiel“ die Entzückten.

Ich fragte, wer denn nun diese urbanen Androiden eigentlich sind? Schwitz.

Da lob ich mir einen Nicolas Collins, der es noch versteht, sich und seinen Computer nicht ganz so ernst zu nehmen und einem die „Avantgarde“ nicht gar so schonungslos ins Hirn zu knallen. Enttäuscht über diese kahle Avantgarde mit Bart gab ich mir hitzefrei.

Tine Wagnis