GESCHLIFFENER HANSWURST

■ La Compagnie du Hasard / Koko mit Figaro und Arlequin im Mir Caravanenlager

Bedauerlich, daß von einem vierzehntägigen internationalen Gastspiel die erste Woche mit zähem Kampf ums Publikum vergeht. Schlecht besuchte Zusatzvorstellungen, fahrendes Volk unter sich, so sah das aus. Jetzt ist schon aufm Großen Stern kein Parkplatz mehr zu kriegen, lange Schlangen um Karten und Getränke, Gedränge auf den Bänken vor den Zelten, die Straße des 17.Juni quillt aus den sonst lächerlich zu weiten Nähten.

Der durch nichts zu rechtfertigenden, trotzdem gewohnheitsmäßigen Überheblichkeit gerade auch des alternativen Berliner Publikums allein ist ein so später Erfolg nicht anzulasten. Auch nicht dem freundlicher gewordenen Wetter. Eher schon den Kulturredaktionen, die Freiem Theater immer noch fremd bis ratlos, wenn nicht gar geringschätzend gegenüberstehen. Eher schon einer verfehlten Öffentlichkeitsarbeit, die auf Hochglanzprospekte in bester Stadttheatermanier und kapriziöse Miniaturplakate setzt, wo flächendeckende Zirkuswerbung das dem Ereignis Angemessene wäre. Am ehesten diesem allgemeinen, hochinfektiösen die -Dinge-laufen-lassen, das sich zum Beispiel so ausdrückt: Wir nehmen zwar den pro Veranstaltung und Besucher höchstmöglichen Preis, beginnen aber regelmäßig wenigstens eine halbe Stunde später als angekündigt. Also einfach: Mischen wir doch alle schlechten Angewohnheiten des Systems, in dem wir leben und gegen das wir angeblich angetreten sind, mit unseren privaten schlechten, verkaufen wir unter diesem Gesichtspunkt etwa auch unser Pizzastück für drei Mark mir people half prize. - Also Leute, Pizza auf der Anreise, da kriegt Ihr sie überall half prize.

Anreise lohnt sich, mal mehr, mal weniger, aber immer. Die Compagnie du Hasard / Koko aus Frankreich etwa deckt in ihren Produktionen heimliche Verwandtschaften auf zwischen gewachsener und ursprünglicher Kultur, indem sie scheinbar große zeitliche und räumliche und weltanschauliche Entfernungen mühelos überwindet. „Figaro“ - das ist a capella gesungener Mozart zum Rhythmus afrikanischer Trommeln. „Arlequin“ - das ist Marivaux zu Bartok. Beides zeigt, daß große Kunst die Welt umspannt und immer irdisch ist.

Die Bilder, die die Compagnie dazu findet, sind nicht ganz so groß. Oft sind sie durch merkwürdige Verzerrungen ins Übergroße schön anzusehen, manchmal sind sie falsch gedacht und daher schlecht, wie die Verniedlichung des Adelsa ins Blöde im „Figaro“. Immer eigentlich verdeutlichen sie nicht die Zusammenhänge, sondern verschleiern kunstvoll die ohnehin vorhandenen Schleier fremder Sprache, fremder Zeit.

Die beiden Aufführungen teilen das Schicksal der meisten hier gezeigten. Obwohl nie länger als eine Stunde, wirken sie zu lang. Vielleicht kommt das, weil sie für den Vorübergehenden auf belebten Plätzen gemacht sind, der stehenbleibt, sich fesseln läßt und weiterzieht. Sicher ist das eine Folge des beklagenswerten Mangels an dramaturgischer Konzeption und an regielicher Zusammenschau.

Thomas Keck

Heute um 22.30Uhr „Arlequin“, morgen um 20Uhr Koko.