Heuchelei

Zur Kampagne gegen Anne Klein  ■ K O M M E N T A R

Zugegeben: Eine faire Sache war das Pilotenspiel nicht. Jeder, der in die Runde einsteigen wollte, mußte mindestens zwei Idioten ins Schlepptau nehmen, um überhaupt eine Gewinnchance zu haben. Jeder Teilnehmer hat auf die Blödheit seiner Mitmenschen spekuliert, und einige haben sich verspekuliert. Frau Klein hat den richtigen Moment erwischt und 24.000 Mark gewonnen. Vielleicht sollte sie deshalb mit Finanzsenator Meisner die Plätze tauschen: Dann säße eine mit glücklichem Händchen im Finanzsenat und ein moralisch integres, weil theologisch ausgebildetes, Vorbild im Jugendressort. Die Eltern der vielen Berliner Konfirmanden würden sich freuen. Aber wer noch?

Frau Klein solle zurücktreten, weil sie, als Jugendsenatorin, ein moralisch integres Vorbild sein müsse, ist in diesen Tagen zu hören. Sie hätte von Amts wegen mit der Bekämpfung von Drogen und Suchtgefahren zu tun und sei deshalb nicht mehr tragbar, mahnt die bürgerliche Presse. Mal davon abgesehen, warum eine Frau, die ein einziges Mal an einem Glücksspiel teilnahm, unter „spielerischen Leidenschaften“ leiden soll: Der Deutsche Bundestag, erwiesenermaßen eine der größten regelmäßig tagenden Versammlungen aktiver Alkoholiker, wäre nach Rücktritt aller vom Volke gewählten SäuferInnen vermutlich nicht mehr beschlußfähig. Aber eine erklärte Feministin, die ausgerechnet nach Aussage des Senatspressesprechers Werner Kohlhoff „in Schicki-Micki-Kreisen“ verkehren soll, bietet da natürlich weitaus mehr Angriffsfläche als Parlamentarier mit Whiskey im Aktenschrank.

Frau Klein hat ihren Piloteneinsatz gestern „bedauert“. Wenn sie trotzdem über diese im Grunde lächerliche Geschichte stolpern sollte, dann deshalb, weil sich niemand mehr für sie aus dem Fenster hängen will. Nicht wegen des „Pilotenspiels“, sondern weil sie in den vergangenen Monaten politischen Kredit verspielte. Wenn man sie deshalb loswerden will, dann soll man das gefälligst sagen.

Claus Christian Malzahn