SPD: Arbeiter stehen unter „Kulturschock“

Forsa-Studie über Abwanderung von SPD-WählerInnen an die „Republikaner“ wird von der Landes-SPD heruntergespielt / Fraktionsvorsitzender Farthmann: Nichts Neues / Studie wird von SPD-Rechten benützt, um Tradionswerte einzuklagen  ■  Aus Düsseldorf J.Nitschmann

Als Anfang dieser Woche erste Einzelheiten über die Forsa -Studie „Rechtswähler in einer SPD-Hochburg“ publik geworden waren, beeilten sich führende Repräsentanten der nordrhein -westfälischen SPD, die Studie herunterzuspielen. SPD -Landesgeschäftsführer Bodo Hombach meldete sich aus seinem Urlaub telefonisch in den Redaktionsstuben, um den recherchierenden Journalisten Entwarnung zu geben: Diese angeblich so spektakuläre Forsa-Studie, tat der Rau-Intimus gelangweilt, sei „doch wirklich nichts Neues“.

Die Forsa-Studie hatte der SPD Nordrhein-Westfalen erhebliche Verluste ihrer Wähler-Klientel an die rechtsradikalen „Republikaner“ bescheinigt. Das 15seitige Dossier der in Dortmund ansässigen „Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen“ (Forsa) über das Anwachsen der Schönhuber-Partei gerade in sozialdemokratischen Hochburgen decke sich durchaus „mit den bisherigen Annahmen“ der NRW-SPD, erklärte Hombach gegenüber der taz: Es gebe tatsächlich ein „bemerkenswertes Potential“ der SPD-Wähler an Rhein und Ruhr, schätzungsweise ein Viertel bis ein Drittel, das für die Rechtsradikalen anfällig sei. Raus Wahlkampfmanager sieht selbst für die eher traditionalistische NRW-SPD die Gefahr, die „Modernisierungsopfer“, die Menschen, die sich um Arbeitsplätze und Wohnraum sorgten, an die REPs zu verlieren. Diese drohenden Entwicklungen seien von der SPD in Nordrhein-Westfalen „nie verdrängt“ worden, möchte Hombach jetzt glauben machen.

Dies freilich ist mehr als umstritten. Noch wenige Monate vor der jüngsten Europawahl berief sich die SPD-Zentrale auf der Düsseldorfer Elisabethstraße auf eine Infratest-Umfrage, nach der die „Republikaner“ an Rhein und Ruhr mit zwei bis drei Prozent deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke liegen würden. Rau-Wähler, hieß es seinerzeit stolz in Hombachs Umgebung, seien eben „resistenter gegen Rechtsradikale“. Kurzum: In NRW seien die REPs „kein Thema“, wie zahlreiche SPD-Spitzenpolitiker in Zeitungsinterviews versicherten.

Selbst einen Tag nach der Europawahl, bei der die beiden Rechtsparteien („Republikaner“ und DVU) in NRW immerhin 5,4 Prozent der Stimmen errungen hatten, vermeldete der 'SPD -Landesdienst‘ „vielleicht“ ein bißchen triumphal, wie Hombach heute einräumt, einen „Sondertrend für NRW: Rechte gestoppt“. „Wir lassen nicht zu, daß soziale Ungerechtigkeiten den Nährboden für Zuwachs bei Radikalen bieten.“

Falsche Prognosen

Forsa-Chef Manfred Güllner, im Landtagskampf 1985 noch eng mit der Düsseldorfer SPD-Zentrale liiert, hält solche Verharmlosungsstrategien, das Herunterreden der Rechtsradikalen unter die Fünf-Prozent-Marke „strategisch wie politisch für fatal“. Güllner zur taz: „Die Leute fühlen sich doch auf den Arm genommen, wenn die Realitäten so weggewischt werden. Schließlich haben sich die ehemaligen SPD-Wähler ja bewußt entschieden, diesmal rechts zu wählen, und sind unter Schmerzen zu den Rechten gegangen.“ Aber dies hätten die Genossen offenbar gar nicht wahrgenommen, „das ist die Arroganz der Macht“.

Im Kern kommt Güllner bei seiner im Auftrag des NDR erstellten Studie über die Rechtswähler in der SPD-Hochburg des Dortmunder Nordens zu dem Befund: „Fast zwei Fünftel (39 Prozent) der Wähler, die am 18. Juni rechts gewählt haben, hatten noch bei der Bundestagswahl 1987 SPD gewählt.“ Damit stellten die abgewanderten SPD-Anhänger rund um den legendären Dortmunder Borsigplatz (der Heimat des Fußball -Bundesligisten Borussia Dortmund) „das überwiegende Kontingent“ der rechtsradikalen Wähler bei der Europawahl 1989.

Und der Dortmunder Norden ist nach Güllners Überzeugung „durchaus typisch“ für solche SPD-Hochburgen in NRW: Diese Erkenntnisse ließen sich „mit ziemlicher Sicherheit übertragen auf ähnlich strukturierte Gebiete, das heißt hoher Arbeiteranteil, relativ schlechte Wohnstruktur und relativ hoher SPD-Anteil“. Wenn schon in einem Gebiet wie dem Dortmunder Norden, das traditionell der SPD verbunden sei und während der Weimarer Zeit aktiven Widerstand gegen die Nazis geleistet habe, solche Entwicklungen deutlich würden, „dann muß in den Arbeitervierteln, wo diese Tradition nicht so ausgeprägt ist, die Abwanderungstendenz eigentlich noch größer sein“, sagt Güllner. Als Beispiele nennt er die Neubaugebiete in den Kölner Stadtteilen Chorweiler und Kalk, wo sich bei der Europawahl „ähnliche Tendenzen“ wie im Dortmunder Norden zeigten.

SPD zu intellektuell?

Für den Vorsitzenden der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion, Friedhelm Farthmann, sind Güllners Erkenntnisse „überhaupt nichts Neues“. Dennoch kommen den Rechten in der SPD solche Studien derzeit offenbar gerade recht, um eine innerparteiliche Diskussion über sozialdemokratische Traditionen und konservative Wertvorstellungen zu entfachen: „Es wird uns einfach nicht mehr abgenommen, daß wir einstehen für Heimat- und Vaterlandsliebe, für den Wunsch nach Wiedervereinigung“, beklagt Farthmann, der sich selbst zu den Traditionalisten des SPD-Gewerkschaftsflügels zählt und über einen nicht unerheblichen Einfluß in der Parteilinken verfügt. (Gern kokettiert er damit, daß er unter einem SPD-Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine wohl Bundesgeschäftsführer geworden wäre.)

Der Düsseldorfer SPD-Fraktionschef wirft seinen Genossen vor, „die Anpassung an die neue politische Kultur nicht behutsam genug vorgenommen zu haben„; die SPD habe eine Menge politische und soziale „Defizite“: So habe beispielsweise die Emanzipationswelle und der Einzug der Grünen in die Parlamente bei vielen Arbeitern „einen regelrechten Kulturschock“ ausgelöst. Gerade im Blick auf rot-grüne Bündnisdiskussionen mahnt Farthmann die SPD, „mehr Rücksicht zu nehmen auf das Fortschrittstempo der Bürger“. So sei denn das Abwandern vieler SPD-Anhänger zu den REPs gar nicht verwunderlich: „Vieles in unserer Fortschrittsgesellschaft deckt sich doch nicht mehr mit den Ordnungsvorstellungen des durchschnittlichen Facharbeiters.“ Innerhalb der SPD gebe es „zuviel intellektuellen Hochmut und Häme“ gegenüber den einfachen Leuten, kritisiert Farthmann.