Hoch die internationale Solidarität

■ Die Friedensstafette erreicht heute Warschau / Matthias Mellinghaus, Ruder-Olympiasieger und Mitorganisator der Stafette, war einige Tage dabei und schildert seine Eindrücke

Berlin (taz) - Sie habe wohl Ende der 60er Jahre fleißig mitskandiert, am eigenen Leibe erfahren habe sie die „internationale Solidarität“ aber erst jetzt, bei der Sport -Friedensstafette von Paris nach Moskau, erzählt mir eine bundesdeutsche Teilnehmerin, als ich in Marburg dazustoße. Auch mir fällt auf, daß sich die 120 „Stafettis“ inzwischen als eine große Familie verstehen, ganz im Gegensatz zum Start in Paris, wo mensch sich noch eher mißtrauisch, in nationalen Grüppchen versteckt, beäugt hatte.

Aber gemeinsam im Pulk laufend und strampelnd scheinen sie schnell zu einem Kollektiv zusammengewachsen zu sein, auch wenn die Kerngruppe alles andere als homogen ist. Da findet sich der dreizehnjährige Luxemburger Roy neben einer 65 Jahre alten holländischen Friedenskämpferin, da traben mehrfache Weltmeister- und OlympiasiegerInnen wie Karin Kania (Eisschnellaufen) oder der legendäre Marathonläufer Waldemar Cierpinski (DDR-Kommentator Heinz-Florian Oertel nach dessen Olympiasieg: „Nennen Sie Ihre Söhne Waldemar!“) neben Freizeit- und Breitensportlern aus acht Nationen. Mit dabei ist auch der Rollstuhlfahrer Peter Werner aus der Bundesrepublik, ein ehemaliger Leichtathlet, der, mit schier unbändiger Kraft ausgestattet, auch schon mal den amerikanischen Kontinent durchquert hat und in der Regel das Tempo macht.

Allgemeine Anerkennung

Die Idee kam der „Initiative Sportler und Sportlerinnen für den Frieden“ bei der nationalen Friedensstafette 1987 von Flensburg zur Zugspitze. Die Gruppe, in früheren Jahren von den wachsamen Augen des Verfassungsschutzes durchleuchtet, erfreut sich inzwischen allgemeiner Anerkennung. Beim großen Friedensfest in Frankfurt/Main tummelte sich neben zahlreicher Prominenz auch der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) Hans Hansen. Auch beim nationalen Spitzensport ist die Stafette äußerst beliebt. Fast 70 der 350 Olympioniken von Seoul unterstützten namentlich den Aufruf zur Stafette. Daß das Echo in der Öffentlichkeit eher mager ist, erklären sich die Stafettis mit mangelndem Bewußtsein ehemaliger Friedensbewegter. Friedensslogans verkommen allerorten zur Phrase (Kohl: „Fritn schaffn mit immer weniker Waffn“), die Republik ist nach wie vor vom Gorbasmus geschüttelt, jeder glaubt, alles laufe von selbst.

Das richtige Bewußtsein habe ich zwar, als ich am Dienstag die 120 Kilometer lange Distanz von Kassel nach Marburg mitradele, allein das Sein auf der Strecke ist keineswegs unerträglich leicht. An diesem Tag toben sich die Radexperten sehr zum Leidwesen meiner Beine und des Hinterteils voll aus, und in der zerklüfteten Landschaft Hessens kommen mir beim soundsovielten Bergstück, als der Anschluß zum Hauptfeld endgültig futsch ist, auch unfriedliche Gedanken. Versöhnlich am Abend der Beschluß der Frauengruppe, direkt hinter Rollstuhlfahrer Peter eine Kette zu bilden und so die Raser zur Raison zu bringen.

Dann folgt der Grenzübertritt in die DDR. Während von den diversen Podien vornehmlich vollmundige Bekenntnisse zum sozialistischen Staat erklingen, ist das Diskussionsklima auf der persönlichen Ebene ausgesprochen offen. Es bietet sich den westlichen Teilnehmern in Gastreden außerdem die Möglichkeit, mehr Toleranz von den Behörden einzufordern oder deren Reaktion auf die Ereignisse in China zu kritisieren.

Auffällig sind das große Medienecho und die hohen Teilnehmerzahlen bei den vielen Veranstaltungen, die sich sowohl durch die herangekarrten Gäste als auch durch das starke Interesse der DDR-Bürger erklären. Die größere Bedeutung, die uns hier beigemessen wird, äußert sich auch in der Verpflegung: Die westliche Erbsensuppe aus der Gulaschkanone (die mich immer Militär assoziieren läßt) wird abgelöst von Buffets, bei denen „Mangelwaren“ keine Seltenheit sind. Gelaufen und radgefahren wird hier jedoch dafür wenig.

Tränenreicher Abschied

Nach den Stationen Erfurt, Buchenwald, Torgau und Cottbus wird die Delegation der DDR ausgetauscht. Zumeist unter Tränen werden deren Mitglieder einzeln verabschiedet. Der Delegationsleiter der ausgewechselten Mannschaft, ein alter Funktionär und Leiter einer Sportschule, bringt es bei der Verabschiedung auf den Punkt: Er habe ein solches Klima nicht erwartet, habe Vorurteile revidieren müssen und hoffe auf Wiederholung eines solchen Ereignisses.

Ähnliches geht mir durch den Kopf, als ich mich am selben Tag etwas wehmütig in den Zug nach Berlin setze. So gern hätte ich mal Raissa kennengelernt, die die Stafettis am 6.August bei einer Großveranstaltung mit 30.000 Teilnehmern in Moskau empfangen wird.