„Besorgnispotential“ für Klaus Töpfer

Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts weist über Schnellen Brüter weit hinaus  ■ K O M M E N T A R E

Bei aller gebührenden Vorsicht im Umgang mit den Formulierungs- und Interpretationsspitzfindigkeiten höchster Bundesrichter: Die „Äußerung“ des Bundesverwaltunggerichts zu Bonns Kalkar-Weisung bedeutet einen kräftigen Rüffel für Reaktorminister Töpfer. Noch hat das Bundesverfassungsgericht nicht gesprochen. Aber nach dieser Stellungnahme der Berliner Richter wackelt die Weisung heftiger denn je. Nach Tschernobyl wollte NRW ein neues Gutachten in Auftrag geben, um mögliche Parallen zwischen dem Gau in der Ukraine und dem Brüter am Niederrhein aufzuspüren. Töpfer intervenierte und stoppte das Ansinnen per Weisung.

Mit aller Macht wollte die Bundesregierung verhindern, daß die Vergabe des Gutachtens eine weitere erhebliche Verzögerung im Brüter-Genehmigungsverfahren nach sich zieht. Doch der gegen Düsseldorf gerichtete Verschleppungsvorwurf trifft in diesem Fall allenfalls die halbe Wahrheit. Es ist unbestritten, daß in der Störfall-Physik der Reaktoren in Tschernobyl und Kalkar relevante Analogien existieren. Unter diesen Vorzeichen bedeutet Töpfers „Prüfverbot“ unter Sicherheitsgesichtspunkten eine Katastrophe. Das Schicksal des Brüters ist endgültig besiegelt, wenn die Gutachter der NRW-Landesregierung tatsächlich Teile des Kalkar -Sicherheitskonzepts in Frage stellen. Kenner der Situation sind sich einig: Diese Expertise kann man nicht unter dem Stichwort Geplänkel abtun, bei entsprechendem Ergebnis ist sie „projektgefährdend“. Eine Nachrüstung wäre nicht möglich.

Die Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts, weist aber weit über den aktuellen Brüter-Streit hinaus - insbesondere dann, wenn nach der Bundestagswahl 1990 in Bonn alles beim alten bleibt. Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über Atomanlagen werden dann vorhersehbar eher die Regel als die Ausnahme. Ob in NRW, Schleswig-Holstein oder - nach einem Regierungswechsel - in Niedersachsen und Hessen, überall könnten rot-grüne oder sozialdemokratische Landesregierungen einzelne Atomanlagen ausknipsen, ohne mit einer schlappen Bundesweisung nach Kalkar-Art rechnen zu müssen. Bevor er eine Weisung gegen atomkritische Entscheidungen der Länderbehörden losschickt, muß Töpfer in Zukunft ganze Rudel von Gutachtern beschäftigen, kritische Minderheitenmeinungen über Sicherheitsfragen berücksichtigen, jedem „Gefahrenverdacht“ nachgehen. Kurz: Das ganze, altbekannte Arsenal in Gang setzen, das heute die Genehmigungsverfahren landauf landab so wunderbar in die Länge zieht. Ganz nebenbei und im unnachahmlichen Juristen -Jargon haben die Berliner Verwaltungsrichter Töpfers Reaktorsicherheitskommission auf Realmaß zusammengestutzt. Mehr als eine „gewisse indizielle Bedeutung“ wollten sie dem Kalkar-Votum der Bonner Obergutachter nicht zubiligen.

Um im Jargon zu bleiben: Die „Äußerung“ des Bundesverwaltungsgerichts birgt für Klaus Töpfer jede Menge „Besorgnispotential“.

Gerd Rosenkranz