Rausschmiß am Antikriegstag

■ Grünes Schiedsgericht wollte am 1. September über Bremerhavener Grünen-Streit verhandeln

Politische Nachhilfe erteilte der Bremerhavener Grüne Horst Grützner kurz vor seinem Parteiausschlußverfahren ausgerechnet demjenigen, der in wenigen Wochen über Grützners Mitgliedschaft in der grünen Partei zu Gericht sitzen und den für viele unbequemen Querkopf vielleicht auch ausschließen wird.

Zur Erinnerung: Der Bremer Landesvorstand der Grünen hatte beim parteiinternen „Schiedsgericht“ gegen Grützner und elf weitere Bremerhavener Grüne beantragt, offiziell festzustellen, daß sich erstens die oppositionellen Mitglieder um Grützner nicht länger „Kreisverband Bremerhaven Süd“ nennen dürfen und daß zweitens ihr Verhalten, einen zweiten Bremerhavener Kreisverband zu gründen und alle Kompromißvorschläge in den

Wind zu schlagen, „partei schädigend“ sei. Der Landesvorstand beantragte nach vergeblichen Einigungsbemühungen den Parteiausschluß der zwölf.

An die „Liebe(n) Verfahrensbeteiligte(n)“ schrieb jetzt der Vorsitzende des zuständigen grünen Landesschiedsgerichts Niedersachsen, Anwalt Jürgen Herr, „mit freundlichen grünen Grüßen“, daß jetzt ein Termin gefunden sei, um die „Verhandlung durchzuführen“: der 1. September 1989 um 17 Uhr. Aber Horst Grützner hat an dem Tag schon etwas anderes vor.

„Bei der Terminierung haben Sie übersehen, daß der 1. September der Antikriegstag ist, an dem vor 50 Jahren Deutschland Polen überfiel und damit den zweiten Weltkrieg auslöste, der über 50 Millionen Menschen das Laben

kostete“, half Grützner dem Partei-Schiedsrichter in einem prompten Antwortbrief auf die Sprünge: „Es dürfte würdelos sein, gegen zwölf aktive grüne Mitglieder an diesem Tage auf Ausschluß aus der Partei zu verhandeln.“ Grützner will an antimilitaristischen Veranstaltungen teilnehmen und bereitet zudem die Carl-von-Ossietzky-Tage mit vor.

„Vielleicht nicht ganz unbegründet“ fand Jurist Herr auf taz-Anfrage den Protest Grützners. Er ist andererseits „noch nicht entschlossen“, daß der erste September nicht der Tag der Verhandlng sein wird: Einen Termin zusammen mit den beiden nichtjuristischen Beisitzerinnen zu finden, sei schon schwierig genug gewesen. Natürlich, so Herr zur taz, habe er gewußt, was der erste

September bedeute - aber „in der Tragweite ist mir das nicht klargewesen, daß da so viele Veranstaltungen laufen, wo viele auch hinwollen.“

Vielleicht soll es nun der folgende erste Samstag im September sein, realistischerweise schon ab mittags. Alle zwölf vom Parteiausschluß Bedrohten müssen Gelegenheit zu einer Erwiderung bekommen, dazu werden Zeugen gehört und Material gesichtet. Optimistisch hofft Herr, noch am selben Tage - nach „Beweisaufnahme“ und Beratung - den Schiedsspruch fällen zu können. Das kann für einige oder alle zwölf Verweis, Verwarnung oder als äußerste Maßnahme Ausschluß aus der Partei bedeuten. Berufung beim Bundesschiedsgericht ist dann die letzte Möglichkeit. S.P