WEHRLOS VOR DIE FRAU

■ Der Hund als Straftäter

Verbietet diese Hunde sofort“ schrie letzte Woche 'Bild‘. Und führte fein säuberlich sieben Hunderassen auf, die aus unterschiedlichen Motiven vom kinderlieben Hätschelhund zur meuchelmordenden Bestie werden: Da gibt es den eifersüchtigen Bullterrier, den nervösen Rottweiler oder den egozentrischen Schäferhund. Die Porträtfotos, frontal, stellenweise Halb- oder Ganzprofil vermitteln mit hechelnder Zunge, durchdringendem Blick oder dumpfer Arroganz eine beeindruckende Verbrechergalerie. Sie sollen, so der „berühmte Tierexperte“ Detlef Bieseke, „abgeschafft“ werden. Und ein anderer „Tierexperte“ fordert gar, „Verhaltenskrüppel und vierbeinige Neurotiker auszumerzen“. Euthanasie für Rassehunde?

Soweit ist es mit unseren Springern und Stürmern also schon gekommen. Aber halt. Herr Bieseke ist eigentlich pensionierter Bildjournalist und Afrikakorps -Kriegsberichterstatter und hat schon zwei Bücher geschrieben: „Wenn Adenauer Hunde geschlachtet hätte. Die Selbstverwirklichung des Hundes durch Beißen. Eine Aufzeichnung des Schreckens“ und zuletzt: „Alle Hunde in den Himmel. Bissiges zu einem Mißbrauch“. Vom „Abschaffen“ will er am Telefon erst mal gar nichts mehr wissen: „Das ist eine Formulierung, die nicht ganz meine Darstellung trifft.“ Ist der Bildjournalist von 'Bild‘ falsch zitiert worden? „Wenn Sie darauf hinaus wollen, daß die 'Bildzeitung‘ was Falsches geschrieben hat, dann ist die Frage nicht richtig gestellt. Ich kann Ihnen auch nicht sagen nach Beendigung des Interviews, welches Wort ich genau benützt habe, denn ich nehme es weder auf, noch habe ich ein so gutes Erinnerungsgedächtnis.“ Da Sprache Denken verrät, wollen wir es mit der Wortwahl nicht so genau nehmen. Große, scharfe Hunde sollen im Innenstadtbereich nicht gehalten werden bzw. nur auf „Waffenschein“, meint Bieseke. Über 8.000 Agenturmeldungen über schreckliche Überfalle von Hunden auf den Menschen hat der „Kenner der Beißszene“, wie er sich selber nennt, bisher gesammelt. Grund: Die Sammelwut seiner Sekretärin und: „Das Kuschen vor Hunden ist für mich das Schlimmste, die Präsenz des Hundes, der dem Menschen das angestammte Wegerecht auf dieser Erde nimmt“, sagt der, der schon das Warten bei Rot vor der Ampel als Freiheitsentzug empfindet. Allerdings bekommt er genau von denen, die Auto wie Hund als bürgerliches Grundrecht und guten Kameraden empfinden, Paroli: „Beim Autofahren kommen mindestens genauso viel Menschen ums Leben, das ist, als wolle man das Auto generell verbieten“, sagt Herr Konrad vom „Verein aller deutschen Rassehunde“. Der Hund als Dreiviertelsmensch ist Biesekes Horrorvision, und um vor diesem Verfall zu warnen, produziert er Bücher. Darin darf sich auch Leser W.W. aus Remscheid („engagierter Verfechter einer vernünfigen Einstellung zum Hund“) ausweinen, der sich nicht mehr „ohne Waffe schützend vor meine Frau“ stellen will, „wehrlos und ehrlos der Gnade zähnefletschender Tölen ausgeliefert zu sein“, schließlich im „demütigenden Gefühl der Hilf- und Wehrlosigkeit des Ausgeliefertseins“. Es scheint nicht so sehr um die Selbstverwirklichung des Hundes als das durch die Hundedekadenz bedrohte Herrentum zu gehen. Falsche, 'Bild‘ weiß, „antiautoritäre“ Erziehung formt den tierischen Straftäter.

Mit dem befaßt sich auch der von Bieseke zitierte „Sachverständige für Hundewesen“ bei der Münchner Polizeischule, Polizeihauptkommissar Franz Breitsamer. Er hat die „Tathund-Opfer-Beziehung“ anhand von zwölf schweren Fällen untersucht, klagt jedoch über die Diskriminierung des ganzen Hundestandes in der Regenbogenpresse. „Soll ich mir diese Jacke anziehen“, zieht Bieseke in Erwägung. „Ich meine nein.“

Auch die Verhaltensforscherin Eva Heidenberger kommt aus München, dem Forschungsort für aggressive Hunde. „Der Hund braucht den Herrn“, meint auch sie, aber sie setzt auf Strafrechtsreform. In einem Projekt wird seit einer Woche im Tierheim Lankwitz ein Resozialisierungsprogramm ausprobiert, für Hunde mit Zwingerkoller, aber auch für aggressive Beißer. Wichtig sei die Einbeziehung der Bezugsperson, des Besitzers. Eine Verhaltensberatung mit „Unterordnungsübungen“ sei in Amerika schon gang und gäbe.

Ob radikaler Ruf nach dem Waffenschein oder heimtückischer Reformismus - die Hunde haben offenbar beschlossen, sich zu wehren. In einem Flugblatt des „Dobermann Treff, Beller der Berliner Hundeschaft“ wettern sie gegen Springer und kündigen eine Protestdemo am Sonntag um 12Uhr vom Kudamm zum Springerhochhaus an. Gewaltfreiheit kann nicht garantiert werden: „Die Bullterrier haben sich verabredet, ihre Zähne am Hosenboden der 'Bildzeitungs'-Experten zu erproben. Deshalb empfehlen wir Waffenscheine für falsche Sachverständige, wie sie für unsere Herrchen, die Hundebesitzer, jetzt gefordert werden.“ Bei der Polizei weiß man nichts. Herr Konrad vom „Zuchtverein aller deutschen Rassehunde“ will damit auch nichts zu tun haben, gerade mit dem Dobermannverein habe er sich erst gestern getroffen. Er vermutet unorganisierte Leute, da jeder Verein natürlich für sich Reklame machen würde: „Zwielichtige Gestalten, kriminelle Elemente“. Also doch, der Hund, ein Straftäter, den man nicht unterschätzen sollte.

DoRoh