Der leise Tod der Kooperativen

Nach der Revolution 1974 besetzten Landarbeiter im portugiesischen Alentejo die Latifundien / Doch fünfzehn Jahre danach sieht die Zukunft der Agrarkooperativen düster aus / Von der Regierung in Lissabon finanziell ausgedörrt, müssen sie bald dem Konkurrenzdruck durch den Binnenmarkt standhalten  ■  Aus Evora Antje Bauer

Avis, ein Dorf im Alentejo, im Süden Portugals. Unter einer stechenden Sonne ausgestorbene Gassen und weißgekalkte niedrige Häuser mit pastellfarbenen Fenstern und Türen. Abends um halb acht fährt ein Lastwagen durchs Dorf und entläßt Frauen, die mit schleppenden Schritten in den von Rosen überquellenden Vorgärten verschwinden. Es sind die Landarbeiterinnen der „Agrarkooperative 1.Mai“, des Musterbetriebes im ehemals revolutionären Alentejo.

Als sich nach der Nelkenrevolution im April 1974 die Landarbeiter dieser Provinz die Ländereien der Großgrundbesitzer aneigneten, wurden im Dorf Avis 12.000 Hektar Boden besetzt - 500 Landarbeiter gründeten die „Kooperative 1.Mai“. Mehr als 500 „Koops“ wurden damals im Alentejo gegründet, einige davon hatten über 70.000 Mitglieder. Doch die Regierungen der folgenden Jahre sagten den revolutionären Landarbeitern den Kampf an. Die Koops wurden gezwungen, das beste Land Stück für Stück an die Großgrundbesitzer zurückzugeben.

Landarbeiter zurück

in die Stadt

Durch Verweigerungen von Krediten und ständig neue finanzielle Belastungen wurde ihnen das Leben schwer gemacht. Nur die Hälfte aller Koops hat das überlebt. Die „Kooperative 1.Mai“ ist eine davon. Von den 12.000 Hektar Land, die 1974 besetzt wurden, mußte sie die 7.000 ertragsreichsten an die ehemaligen Besitzer zurückgeben. Große Teile davon liegen heute erneut brach.

Von den 500 Kooperativisten sind 15 Jahre später nur noch 200 übrig. „Viele, die damals hier mitgemacht haben, waren die schwere Landarbeit nicht gewohnt und haben lieber Arbeit in der Stadt gesucht“, erzählt Manuel Macarinha, Mitglied der kollektiven Leitung der Koop. Er ist dreißig und arbeitet im Supermarkt der Kooperative.

Besucher des Betriebes werden im Versammlungsraum des kleinen, weißgekalkten Verwaltungsgebäudes am Eingang des Maschinenparks empfangen. An den Wänden hängen neorealistische Ölgemälde eines befreundeten Malers, die arbeitende Kooperativisten und glückliche Kinder in der betriebseigenen Krippe zeigen. Trotz der Abwanderung zahlreicher Kooperativisten und trotz des Verlustes an Boden äußerst sich Manuel vorsichtig optimistisch über die Zukunft der Kooperative. „Wir arbeiten effektiver als die Kleinbauern der Gegend“, meint er, „weil wir über einen großen Maschinenpark verfügen, der ständig modernisiert wird.“ In den Gerätehallen führt er später stolz nagelneue Mähdrescher mit klimatisiertem Fahrerhäuschen vor.

Doch sein Optimismus bezieht sich nur auf die innerportugiesische Konkurrenz in der Landwirtschaft. „Wir wissen, daß andere Länder etwa Weizen billiger anbauen als wir. Wenn ab 1992 durch den Binnenmarkt ausländische Produkte hier ungehindert eingeführt werden können, brauchen wir Kredite, um ebenso modernisieren zu können wie die ausländischen Betriebe. Ferner brauchen wir Ausgleichszahlungen für unsere Produkte, sonst können wir nicht weiter bestehen.“ Doch was passiert, wenn keine dieser beiden Möglichkeiten umgesetzt wird? Manuel zuckt mit den Schultern.

Die reichste Kooperative zahlt keine Löhne mehr

Die „Kooperative 1.Mai“ gilt als eine der reichsten des Alentejo. 30.000 Escudos (umgerechnet 370 Mark) verdient ein Landarbeiter dort monatlich, ein Traktorfahrer 45.000. Einheitslöhne gibt es nicht: „Für 30.000 arbeitet kein Traktorfahrer“, sagt Manuel, „der bekommt woanders mehr.“

Die Mitglieder arbeiten 40 Stunden pro Woche, haben dreißig Tage Urlaub im Jahr, erhalten eine Lebensmittelzulage und können ihre Sprößlinge umsonst in die Kinderkrippe schicken. „Für die Landarbeiter hier gibt es keine Alternative zur Koop“, davon ist Manuel fest überzeugt. Er verschweigt, was im Dorf ein offenes Geheimnis ist: Die reichste Kooperative des Alentejo zahlt seit Monaten keine Löhne mehr aus.

In der Kooperative von Ciborro ist man freigiebiger im Mitteilen schlechter Nachrichten. Ciborro liegt etwa hundert Kilometer südlich von Avis, in der Nähe der Kleinstadt Montemor-o-Novo. Die Kooperative hat denselben Schrumpfungsprozeß mitgemacht wie die in Avis: Von den rund 9.000 Hektar Land, die kurz nach der Revolution besetzt wurden, sind ihr nur 4.000 verblieben. Die restlichen mußten an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben werden. Von den ehemals 450 Kooperativisten sind noch 180 geblieben, die anderen sind in die Städte gewandert oder haben sich wieder in den Dienst der Großgrundbesitzer begeben. „Wir haben drei große Probleme“, sagt Custodio Manuel Bento, Mitglied des Direktoriums der Kooperative und für die Milchwirtschaft des Betriebs zuständig: „Die Regierung versucht uns zu zerstören, die Jugend will hier nicht mehr leben, und die Kooperativisten haben den Willen zum Kämpfen verloren.“

Einen einzigen Kredit aus dem Regionalfonds der EG hat die Kooperative erhalten. Davon wurden Landmaschinen gekauft. Darüber hinaus ist sie bei der Regierung genauso wenig kreditwürdig wie alle anderen. Die Kooperative ist ärmer als die von Avis. Der Durchschnittslohn liegt bei 32.000 Escudos pro Monat. Auch hier ist der Versuch , einen Einheitslohn einzuführen, gescheitert.

Die Jungen gehen

in die Städte

Es ist Abend in Ciborro, und die Landarbeiterinnen kehren zu Fuß aus dem Feld ins Dorf zurück - dick eingemummt in Hose und Rock, ein breites Tuch auf dem Kopf und ein Filzhut darüber. Die Arbeit der Frauen ist die schwerste. In den Reis-, Mais- und Tomatenfeldern, die die Kooperative dort angelegt hat, wo früher nur Olivenbäume und Korkeichen standen, arbeiten sie den ganzen Tag gebückt in Hitze und Regen. Für die Alten, die noch den Hunger kennengelernt haben, die nie Fleisch oder Milch sahen, war die Kooperative ein Riesenschritt vorwärts. Doch die Jungen suchen lieber Arbeit in den Fabriken der Städte oder auf den Baustellen der Tourismuskomplexe an der Algarve. Die Arbeit ist einfacher, und sie verdienen das Doppelte. „Es kommt noch hinzu“, meint Francisco Pinto de Sa, einer der wenigen städtischen Intellektuellen, die weiterhin Kontakt mit den Koops halten, „daß die Landarbeiter hier Menschen dritter Klasse sind, und die Jugendlichen haben das satt.“ 46 Jahre ist das Durchschnittsalter der Mitglieder der Kooperative.

Für die Zukunft der Koops sieht Custodio, das Direktoriumsmitglied aus Ciborro, schwarz: „Natürlich ist ein Großgrundbesitzer, der 500 Hektar Land mit drei Angestellten bewirtschaftet, rentabler als wir“, gesteht er ein, „aber wir erhalten durch die Kooperative ganze Familien. Das muß der Staat doch berücksichtigen. Wer soll die denn ernähren?“ An den Binnenmarkt mag er gar nicht denken. Denn der Hauptfeind der Koops sitzt seit Jahren schon in Lissabon. „1992?“ fragt Custodio verbittert, „bis dahin gibt es keine Kooperativen mehr.“

Bis 1992 gibt es

keine Koops mehr

Skepsis auch in der Kreisstadt Evora. „Portugal ist nicht in der Lage, mit den anderen EG-Ländern zu konkurrieren“, meint Francisco Caramuj im Gewerkschaftssekretariat für Agrarkooperativen. „Die einzige Möglichkeit dazu wären die Koops gewesen, doch die werden zerstört, weil in ihren Gebieten die Kommunistische Partei stark ist.“ Aufgrund des neuen Latifundiengesetzes, das im vergangenen Jahr verabschiedet worden ist, mußten erneut Ländereien an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben werden. Und nach der Verfassungsreform, die gerade ausgearbeitet wird, bleibt von der revolutionären Agrarreform gar nichts mehr übrig. „Vielleicht können ein paar Kooperativen überleben, die ihr Land gekauft oder von den Eigentümern gepachtet haben“, schätzt Francisco Caramuj, „aber alle anderen werden eingehen.“

Die Alternative zu den Agrarkooperativen liegt vor den Toren von Evora. Es ist ein Hof im Besitz von Holländern. Auf hundert Hektar Land werden hier 350 holländische Milchkühe gehalten. Mit 3.000 Liter Milch nimmt der Hof täglich 2.500 Mark ein. Fünf Beschäftigte hat der Betrieb und kann es sich leisten, die Angestellten relativ gut zu bezahlen: 75.000 Escudos verdient der Melker Jose im Monat, das ist das Doppelte von dem, was er in einer Kooperative verdienen würde. „Das ist die Zukunft des Alentejo“, kommentiert Francisco Pinto de Sa, der Intellektuelle aus der Stadt. „Milchfabriken, Korkabbau, Oliven, Jagd und vielleicht einmal Golfplätze.“ Alentejo - ein Paradebeispiel für die langsame Verwandlung einer Landschaft in einen Industriebetrieb? Die Agrarindustrie ist finanziell rentabel, menschliche Arbeitskraft ist dabei kaum nötig. Die Bewohner des Alentejo werden zu überflüssigen Accessoires ihres Landstrichs. Wieviele der Bauern in zehn Jahren noch nicht in die Städte abgewandert sein werden, um dort das Heer der Arbeitslosen und Kleinkriminellen zu vergrößern, traut sich niemand zu schätzen. Nur eines scheint klar: Das Europa des Kapitals wird diese Entwicklung nicht aufhalten. Im Gegenteil.