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Mit Gott und Gewerkschaft gegen Pittston

Seit ein Vertrag zwischen dem Bergbauunternehmen Pittston und der Gewerkschaft UMWA im Februar auslief, ist in dem Städtchen Dante (Virginia) action Das Unternehmen strich Krankenversorgung und will Sonntagsarbeit / Drei Monate streiken die Bergleute schon, um ihre Gewerkschaftstradition zu retten  ■  Aus Virginia Stefan Schaaf

Für Thermon Sproles gab es nie eine Alternative zur Pittston Coal Company. Für den heute über Siebzigjährigen war das Bergbauunternehmen so etwas wie ein Übervater. Schon sein Vater, der 1913 in ein kleines Haus etwas weiter unten an der schmalen Straße eingezogen war, holte für Pittston Kohle aus den Bergen im Süden Virginias. Auch all seine Nachbarn, die die anderen, fast gleichen kleinen Holzhäuser entlang der von steilen grünbewachsenen Abhängen gesäumten Straße bewohnen, sind Bergleute. Und er selbst hat mehr als drei Jahrzehnte für das Unternehmen gearbeitet. In dem kleinen Ort Dante ist die Kohle Monokultur. Von ihr leben die Arbeiter und ihre Familien ebenso wie die kleinen Geschäfte, die Tankstellen und Videoshops in den Tälern im Kohlegebiet der Appalachen. Zwei Dinge sind Sproles heute wichtig, und da ist er keine Ausnahme in dieser gottesfürchtigen Region: „Ich bin ein wiedergeborenes Kind Gottes und ein Mann der Gewerkschaft.“

Seit drei Monaten wird Pittston bestreikt. „Ich weiß nur eins“, ruft Sproles über die Straße, „wenn die uns nicht bald einen neuen Vertrag anbieten, wird es hier ziemlich übel zugehen.“ Der Mann lehnt sich über seinen Gartenzaun und weist auf das Ergebnis von „34 Jahren Schwerstarbeit“ für Pittston: Ein Vier-Zimmer-Haus, das er selbst renoviert und mit Ölheizung ausgerüstet hat und in dem er mit seinen erwachsenen Töchtern lebt, einen kleinen Garten, in dem die Schwertlilien blühen und der Rasen aufs Mähen wartet. Er erzählt in seinem nicht ganz leicht verständlichen Dialekt über die Zeit in den dreißiger Jahren, als er anfing, für Pittston zu arbeiten, damals, als es während der großen Depression nur alle zwei Wochen drei Tage Arbeit für ihn gab. Geld bekam er keines dafür, statt dessen eine Gutschrift, mit der er im von Pittston betriebenen Laden einkaufen konnte. Seiner Liebsten habe er damals gesagt, daß er ihr keine finanziellen Sicherheiten bieten könne, aber daß er mit ihr am folgenden Sonntag zum Pfarrer gehen würde, falls sie ihn heiraten wolle. Sie wollte.

Aus der Traum vom gesicherten Ruhestand

Vor vierzehn Jahren trat Sproles mit dem beruhigenden Wissen in den Ruhestand, daß Pittston-Pensionären, Berufsinvaliden und deren Witwen in ihrem Vertrag zugesichert ist, eventuelle Krankheitskosten würden vom Unternehmen übernommen. Doch der Vertrag zwischen Pittston und den „United Mine Workers of America“ (UMWA), der Bergarbeitergewerkschaft, lief am 1. Februar 1989 aus. Einige Wochen vorher bekam Sproles einen Brief, daß damit auch seine Krankenversicherung hinfällig wäre. Für 1.500 Menschen im Kohlegebiet Südwestvirginias hieß dies, daß sie die Kosten für Invalidität, Staublunge, Emphysem und all die anderen unter Bergleuten häufig auftretenden Berufskrankheiten selbst zu tragen haben. In der Region wirkte dieser einseitige Schritt der Kohlebosse wie ein Schlag ins Gesicht. Viele Bergleute riskieren ihre Gesundheit, wenn nicht ihr Leben in den Kohlegruben. Daß der Arbeitgeber wenigstens die Krankenversicherung übernimmt, erscheint da nur fair. Sproles zeigt die Straße hinunter auf den kleinen Anbau an seinem Elternhaus: „Asthma-Veranda nannten wir das. Am Anfang gab's nur Fliegengitter in den Fenstern, damit die Kranken möglichst viel frische Luft bekamen.“ Er erzählt von Gail Gentry, einem Bergmann aus Dante, der seit elf Jahren im Rollstuhl sitzt, nachdem ihm ein herabstürzender Felsen fünf Rückenwirbel brach. Gentry, dessen Krankenversicherung gleichfalls gestrichen wurde, gehört zu den mehr als 2.000 Menschen, die bisher während des Arbeitskampfes festgenommen wurden.

Pittston: satte Profite

Der Name Pittston hat einen dunklen Unterton bei den Kohlearbeitern der Vereinigten Staaten, seit 1972 ein Damm aus Kohleschutt aus Pittston-Minen brach und ein ganzes Tal in West-Virginia überschwemmt wurde; 125 Menschen starben, Tausende verloren ihr Hab und Gut. Pittston hatte Warnungen über die Gefahren ignoriert, die der Damm barg. Später erklärte sich das Unternehmen zur Zahlung von 26 Millionen Dollar Schadensersatz bereit. Heute kann die Firma gegenüber ihren Aktionären auf steigende Aktienkurse, wachsende Produktivität und satte Profite verweisen. Die Kohle Südwestvirginias ist erste Qualität, da sie besonders schwefelarm und damit umweltfreundlich ist. Vierzig Prozent der Produktion werden nach Japan exportiert. Pittston muß befürchten, daß die Firma auf dem Weltmarkt unter Druck der südafrikanischen Konkurrenz kommt, wenn die Produktion nicht bald wieder auf vollen Touren läuft.

In früheren Jahren bedeutete das Auslaufen des Vertrages für die Bergleute der UMWA den sofortigen Arbeitskampf, es sei denn, ein neuer Vertrag war rechtzeitig ausgehandelt. „1984 sind wir zum ersten Mal in zwanzig Jahren nicht in den Streik getreten“, sagt Ron Baker im regionalen Hauptquartier der Gewerkschaft. Im gleichen Jahr übernahm eine neue Geschäftsleitung das Ruder bei Pittston. 1987 scherte das Unternehmen, immerhin der größte Kohleexporteur der Vereinigten Staaten, aus dem nationalen Dachverband der Kohleindustrie aus und stellte seine eigenen Forderungen an die UMWA. „Dieser Streik wurde wegen unfairer Beschäftigungspraktiken ausgerufen“, erklärt Baker. „Selbst ohne einen Vertrag ist Pittston an bestimmte Regeln gebunden. Die Bundesschlichtungsbehörde hat bestätigt, daß das Unternehmen diese Regeln in 25 Fällen verletzt hat.“

Neben der Streichung der Krankenversorgung geht es der UMWA vor allem um die Forderung Pittstons, Arbeitsplätze an Subunternehmer auslagern und Sonntagsarbeit anordnen zu können. Außerdem will das Unternehmen, daß der Vertrag im Fall eines Verkaufs der Firma kündbar ist. Diese Forderungen abzuschmettern und Pittston auf den industrieweiten Tarifvertrag zu verpflichten, wäre für die UMWA ein erfolgreiches Ergebnis des Arbeitskampfs.

Starke US-Gewerkschaften: eine sterbene Spezies

Die meisten Gewerkschafter, die vor den Minen Streikposten stehen, beschreiben den Arbeitskampf in einfacheren Begriffen: „Pittston will die Gewerkschaft zerschlagen“, sagen sie, wobei die Befürchtung mitklingt, daß der Bergbau das erleben könnte, was für die meisten industriellen Bereiche der Vereinigten Staaten bereits vollzogen ist, nämlich die Reduzierung der Gewerkschaften auf politische Lobbyfunktionen in Washington. Nur noch 17 Prozent der US -amerikanischen ArbeitnehmerInnen sind gewerkschaftlich organisiert, in weiten Landesteilen werden Arbeitskämpfe von gewerkschaftsfeindlichen Arbeitsgesetzen bereits im Keim erstickt. Auch die Zahl der organisierten Bergleute ist in den letzten zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Nur noch ein Drittel der US-Kohleproduktion wird von der Gewerkschaft kontrolliert. Die Bergbauindustrie blieb dank der straff organisierten Grubenarbeiter bisher vom sozialen Abbau verschont.

So brutal die Bedingungen in den Minen, so heftig war auch die Gegenwehr der dort Beschäftigten, viele von ihnen Einwanderer aus Schottland, Wales und Irland, die Anfang des Jahrhunderts direkt von den Schiffen in die neuerrichteten „Company Towns“ in den engen Tälern Virginias, Kentuckys und West Virginias gebracht wurden. Hier wurde im Jahre 1902 Mary Harris Jones zum ersten Mal wegen ihrer Bemühungen festgenommen, die Bergarbeiter zu organisieren. 72 Jahre alt war „Mother Jones“ damals. Heute ist sie ebenso Legende wie John Lewis, der Führer der Bergarbeiter von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts. Lewis war ein ebenso autoritärer wie kämpferischer Mann, den nicht nur die Kohlebosse, sondern selbst Präsidenten fürchteten. Streiks wurden oft mit recht gewaltsamen Methoden ausgefochten, doch Ende der vierziger Jahre hatte die Gewerkschaft unter Lewis‘ Führung die Kinderarbeit in den Minen abgeschafft, den Acht-Stunden-Tag und die Fünf-Tage -Woche durchgesetzt und den Bergleuten zu den höchsten Löhnen in der gesamten Industrie der Vereinigten Staaten verholfen. Pittston-Bergleute verdienen etwa 2.400 Dollar im Monat, während des Streiks gibt es allerdings nur 800 Dollar aus dem Arbeitskampffonds der UMWA.

Schlechte Erfahrungen

mit den Richtern

Mittwochmorgen in Abingdon, dem recht idyllischen Verwaltungszentrum der Kohleregion. Wir sind gerade von der Autobahn abgefahren und suchen die Straße in die grünbewachsenen Berge hinauf. An einer der ersten Straßenkreuzungen stoßen wir auf eine Hundertschaft recht verwegen aussehender Männer und Frauen in militärischer Tarnkluft, die Megaphone, Plakate und Flaggen schwenkt, während die vorüberfahrenden Pickup-Trucks ein wildes Hupkonzert veranstalten. Es handelt sich um UMWA -GewerkschafterInnen in ihrer ungewöhnlichen Solidaritäts -Uniform. Sie demonstrieren vor dem Gebäude, in dem ein Bundesrichter gerade über neun am Vortag festgenommene Bergleute entscheidet.

Die Gewerkschafter haben bisher schlechte Erfahrungen mit den Richtern gemacht, die sich in den Arbeitskampf eingeschaltet haben und zum Teil drakonische und willkürliche Strafen verhängten. Am gleichen Tag soll auch entschieden werden, ob die Gewerkschaft weiterhin die Beschränkungen verletzt, die das Gericht den Streikposten auferlegt hatte. Nachdem die Streikenden zu Beginn des Ausstands zu Hunderten die Eingänge zu den Minen blockiert hatten, dürfen sich dort jetzt nur noch eine Handvoll Streikposten aufhalten.

Die Gewerkschaft habe sich anfangs an mehreren Tagen nicht an die Anordnung gehalten, hatte ein Bundesrichter befunden und sie zur Zahlung von 100.000 Dollar pro Tag verurteilt. Jeden Tag werden von den allgegenwärtigen Staatspolizisten in ihren graublauen Straßenkreuzern Menschen festgenommen, weil sie „den Verkehr behindert“ haben, indem sie zu langsam vor Kohlelastern herfuhren.

Am Vortag hatte die Polizei den Bogen allerdings überspannt, als sie Bernadette Kenny, eine katholische Nonne, festnahmen und ihr Handschellen anlegten, während diese gerade dabei war, Medizin für kranke Bergleute auszuliefern. Sie könnte mit ihrem Wohnmobil auf den schmalen gewundenen Straßen nicht schneller fahren, sagte sie dem Richter, der sie gegen eine Kaution von 10.000 Dollar nach einigen Stunden wieder freiließ. Anschließend kommentierte sie, es käme ihr wie eine Ironie vor, daß Ollie North dem Gefängnis entkommen konnte, indem er Gemeinschaftsdienst leistete, während sie festgenommen worden sei, weil sie Gemeinschaftsdienst leistete. Ein Streikposten stehender Bergmann bemerkte am nächsten Morgen sarkastisch: „Hier ist es schlimmer als in Polen, hier nehmen sie sogar katholische Nonnen fest.“ Bushs lobende Worte für Solidarnosc hatten auch in Ron Bakers Ohren einen eher ironischen Klang: „Was er sagen wollte, war, daß Gewerkschaften was Tolles sind, solange sie in Polen bleiben“.

„Camp Solidarity“

Das Hupkonzert vor dem Gerichtsgebäude zeigt, daß es auch ohne derartige Übergriffe des Staates eine breite Unterstützung für den Streik gibt, während die vom Gouverneur hergeschickte Staatspolizei nur Hohn erntet. „Alles von unseren Steuergeldern“, klagt die Motelbesitzerin, als wir erwähnen, daß die wenigen besseren Hotels in der Gegend oft zu zwei Dritteln mit Polizisten belegt sind. Zu Beginn des Ausstands stieß die Ordnungsmacht auf einen nahezu vollständigen Boykott: Tankwarte weigerten sich, die Busse zu betanken, mit denen festgenommene Streikposten auf die Polizeistationen gebracht wurden. Abschleppunternehmen verweigerten ihre Dienste, als es galt, Autos vor den Grubeneingängen zu entfernen. Selbst vor Gericht soll es vorgekommen sein, daß ein lokaler Beamter plötzlich keine Formulare mehr finden konnte, auf denen Verhaftungen eingetragen werden müssen.

Deswegen gibt es kaum Befürchtungen, daß der Streik in der nächsten Zeit abbröckeln könnte. Die Streikkasse der Gewerkschaft ist dank satter Spenden aus anderen Staaten gut gefüllt. Wirtschaftlich negative Folgen hat der Ausstand eher für die örtlichen Geschäftsleute. Doch noch wichtiger ist womöglich, daß der Streik sich über die Kohleregion im Süden Virginias hinaus ausgebreitet hat. In zehn Bundesstaaten östlich des Mississippis hat es Streikaktionen gegeben.

Hunderte von Bergleuten sind Anfang Juli während der bundesweiten Ferienwochen der Bergarbeiter hergekommen und haben ihre Zelte und Wohnmobile im „Camp Solidarity“ aufgeschlagen. Der Weg dorthin führt über Meilen einer schmalen Asphaltstraße, vorbei an klaren Bächen, rollenden Hügeln und ärmlichen kastenförmigen Fertighäusern mit riesigen Schüsselantennen zwischen den Gemüsebeeten, durch die das Fernsehprogramm direkt vom Satelliten abgelauscht werden kann. Mit den drei Wachmännern am Eingang des Camps, gleichfalls in paramilitärischer Kluft und aufgedruckten Gewerkschaftsparolen, möchte man lieber keinen Streit bekommen. Einer hat für alle Fälle einen Baseballschläger zur Hand. „Besucher willkommen, Bullen und Streikbrecher bleiben draußen“, warnt ein handgemaltes Schild unmißverständlich.

Zwischen 200 und 500 Bergleute, fast alle in graugrüner Tarnkluft, halten sich in dem Camp auf, in dem gerade Abendessenzeit ist. Manche sind mit ihren Familien bis aus Alabama oder Illinois angereist. In langen Schlangen warten sie darauf, sich an den gespendeten Leckereien zu bedienen, die ein meterlanges Buffett unter einer schützenden Plane birgt. Ausgeteilt wird Speis und Trank vom „Ladie's Auxiliary“, den zur Unterstützung des Streiks angetretenen Bergarbeiterfrauen. Eine Frau trägt eine Mütze mit der Aufschrift „God, Guns and Guts made the UMWA“ (Gott, Knarren und Mumm haben die UMWA geschaffen), eine andere trägt ein blaues T-Shirt mit dem Konterfei von „Mother Jones“. Sie ist Mitglied der „Töchter von Mother Jones“, die sich am zivilen Ungehorsam beteiligt haben und vor einigen Wochen das regionale Hauptquartier der Pittston Co. für zwei Tage besetzten. Für den späteren Abend ist Musik angekündigt, doch wird das Vergnügen abgesagt, weil viele noch einmal nach Abingdon fahren, um an einer Nachtwache vor dem Gefängnis teilzunehmen.

Verhandlungen: 1. August

Am nächsten Morgen macht den Streikenden zum ersten Mal in den drei Monaten ihres Ausstandes ein Richter Hoffnung. Bundesrichter Glen Williams verkürzt die Strafe des zu drei Monaten Haft verurteilten Roy Glovier auf zehn Tage. Außerdem veröffentlicht er den Text eines ultimativen Schreibens, das er an die Gewerkschaftsführung und an den Präsidenten von Pittston, Paul Douglas, gerichtet hat. Er fordert beide Seiten auf, „sich am Dienstag, den 18. Juli, um 9 Uhr morgens im Ramada Inn in Duffie/ Virginia einzufinden“, um ihm zu erklären, warum es nach 101 Tagen Arbeitskampf immer noch keine Verhandlungen gibt. Nachdem beide Parteien aufgekreuzt waren, wurde ein bißchen verhandelt und dann wieder verschoben. Nächster Verhandlungstermin ist der 1. August. Die Gewerkschaft berät unterdessen.

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