Kabel frei zur Kommunikationskontrolle

„In kaum einem der Sicherheitsgesetze tritt die Denkweise und Logik“ der Sicherheitsbehörden so sichtbar zutage wie in dem am 20. April verabschiedeten Entwurf des Poststrukturgesetzes. Regelrecht im Handstreich und nur wenige Wochen vor seiner Verabschiedung, so die Mitarbeiter der Bürgerrechtszeitschrift 'Cilip‘, hätten die Bonner Koalitionsparteien eine „Ergänzung“ in den lange diskutierten Entwurf des Gesetzes eingebracht, mit dem die staatlichen Überwachungsbefugnisse über den Telefon- und Briefverkehr auf alle neuen Kommunikationsformen und -techniken ausgeweitet werden. Zeit für einen öffentlichen Widerspruch habe es dabei nicht gegeben.

Die Änderungen im Gesetzestext waren geringfügig, ihre Wirkung aber um so größer. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (das sogenannte G-10-Gesetz) und die entsprechenden Bestimmungen der Strafprozeßordnung (STPO) galten bisher nur für das Staatsunternehmen Bundespost. Sie wurden jetzt kurzerhand auf alle privaten Kommunikationsträger ausgeweitet. Und mit der Änderung einer Passage des Paragraphen 100 STPO wurde auch der Überwachungsrahmen erheblich ausgeweitet. Hieß es früher in Absatz 1 des Paragraphen, „die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs auf Tonträger“ dürfe nur durch den Richter angeordnet werden, wurde der Terminus jetzt durch ein generelles „die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs“ ausgetauscht. Über das Lesen und Aufzeichnen hinaus ist es den Behörden nun anheimgestellt, die Adressaten der Kommunikationspartner abzuspeichern und auszuwerten. Die Behörde kann so ein lückenloses Bild der Kontakte - ein Kommunikationsprofil - nachzeichnen. Tür und Tor werden auch der Kontrolle der Kommunikationsinhalte aufgestoßen. Ausgeklügelte Computerprogramme erlauben effektive und rationelle Überwachungsmethoden. So können die digitalisierten Informationströme zum Beispiel von Computern selektiv auf bestimmte Namen, Begriffe oder Zahlenkombinationen hin durchsucht werden.

Die Überwachungsmöglichkeiten bezüglich des Kommunikationsverhaltens und der Inhalte nehmen zu, konstatierten zuletzt im März der Hamburger Datenschützer Claus Henning Schapper und sein Mitarbeiter Peter Schaar. Noch einen Monat vor der Gesetzesänderung hatten sie prophezeit: „Anstatt diesen Gefahren durch eine Fortentwicklung des Datenschutzes entgegenzuwirken, würde die Umsetzung der Pläne (der Poststrukturreform, d. Red.) nicht einmal den erreichten Datenschutzstandard bewahren.“ Analog zu den für die Post geltenden Regelungen hat der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung im April auch die Betreiber privater Fernmeldeeinrichtungen verpflichtet, den Anordnungen der Sicherheitsbehörden, eines Richters oder eines Staatsanwaltes Folge zu leisten. Wenn in den neunziger Jahren das private europaweite „Mobilfunknetz D“ oder andere lokale Funkrufdienste in Betrieb gehen, haben sich die Sicherheitsbehörden damit den Zugriff auf diese Daten gesichert. Den Unternehmen, die sich dem staatlichen Zugriff auf die Daten ihrer Kunden verweigern wollen, drohen empfindliche Geldstrafen. Ein Bußgeld riskiert aber auch die Firma, die „das erforderliche überprüfte und zum Zugang zu Verschlußsachen des jeweiligen Geheimhaltungsgrades ermächtigte Personal nicht bereithält“. Dem im privaten Sektor zuständigen Personal wird dazu der Status von Geheimnisträgern verliehen - sie müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen lassen. Fortan unterliegen sie damit auch der „Verschlußsachenordnung“, die bisher nur im öffentlichen Dienst zur Geltung kam. Sollte ein Mitarbeiter auf die Idee kommen, einen Betroffenen von seiner Überwachung zu unterrichten, droht ihm ein Gerichtsverfahren und eine bis zu 2jährige Freiheitsstrafe.

In der Begründung der Gesetzesänderung führten die Bonner Koalitionsparteien an, durch den Wettbewerb der Bundespost mit privaten Anbietern enstehe ein Fernmeldeverkehrsbereich, der „nicht gänzlich Überwachungsmaßnahmen entzogen sein dürfe“. Anderenfalls bestehe die große Gefahr, „daß Nischen z.B. für die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus entstehen könnten. Nach den Erfahrungen der Sicherheitsbehörden würden potentiell Betroffene die fehlenden Überwachungsmöglichkeiten erkennen und verstärkt nutzen“. Im Kontext mit den geplanten Entwürfen zu den Geheimdienstgesetzen, einem Strafverfahrensgesetz und dem Versammlungsgesetz, zeichnen die „Cilip„-Autoren eine düstere Vision: „Zusammen gesehen ist ein lückenloses rechtliches Reservoir entstanden zur Überwachung, Kontrolle und Aufzeichnung jedweder vertraulichen Kommunikation in jedweder sozialen Situation.“

Wolfgang Gast