Titelaspirant transpirierte

■ FC St. Pauli - Werder Bremen: Unentscheiden im Kampf um die Lufthoheit am Rande der Reeperbahn

Die Fans von Werder Bremen hatten nichts zu lachen. Vielleicht hundert waren an ihren grün-weißen Mützen hinter dem Südtor auszumachen, sie blieben still und bescheiden. Das Wilhelm-Koch-Stadion am Rande der Reeperbahn war ausverkauft, 20.500 Zuschauer drängten sich am Sonnabend hier zum Saisonauftakt, ein Zehntel des gesamten Bundesligaaufkommens vom Wochenende.

Ein gellendes Pfeifkonzert für unsere elf Mannen von der Weser, als sie auf dem mittlerweile

gut gepflegten Millerntor-Acker einliefen. Aber der FC spielte harmlos. Und doch waren die Hamburger den Bremern streckenweise überlegen. Nicht, weil sie gut gekämpft hätten, nein, weil die Gäste noch harmloser waren. Dabei fing alles vielversprechend an. Schon in der 8. Minute brachte ein Freistoß die erste Torchance für den FC: Torwart Reck kann einen Freistoß nicht festhalten, aber St. Paulis Abwehrspieler Jens Duve köpft über den Kasten. In der 14. Minute hatte Werder-Großvater Manni Burgsmüller (wird im Dezember 40) seinen großen Auftritt: Er taucht plötzlich von rechts vor Ippig auf, knallt den Ball ins Eck, aber der St. Pauli-Schlußmann rettet bravourös. Noch eine Torsituation dann in der 34. Minute: Ippig liegt im Strafraum am Boden, Burgsmüller hebt den Ball über ihn ins Tor, auf dessen Linie allerdings Trulsen per Kopf das 0:1 verhindert. Das war's dann schon aus der ersten Halbzeit. Alle sind bemüht durcheinandergelaufen, daß noch ein Tor fallen würde, daran glaubte niemand mehr so richtig, weder auf dem Feld noch auf den Rängen. Wo der Erfolg ausbleibt, da regiert die Härte eine alte Fußballer

weisheit. Es gab während der 90 Minuten zwar nur drei gelbe Karten, aber gefallen wurde lich. Besonders, als sich in der zweiten Halbzeit das Geschehen in die Hälfte der Bremer verlagerte, der FC St. Pauli - dirigiert von Libero Jan Kocian - minutenlang gefällige Kombinationen zeigte. Werder -Neuling Manfred Bockenfeld (aus Mannheim gekommen) erfuhr die drangvolle Enge des Stadions am eigenen Leib, als er an der Auslinie nicht stoppen konnte und aus vollem Lauf gegen die Bande donnerte - er blieb minutenlang liegen. Denselben Spieler ereilte ein zweiter Knockout, als ihn der Befreiungsschlag eines Hamburgers am Oberkörper traf. Und als in der 75. Minute Borowka im Mittelfeld zu Boden ging und kurz vor Spielschluß Bratseth nicht mehr aufzustehen drohte, war für den St. Pauli-Anhang klar, daß die Herren aus Bremen Mimosen sind, keine ernstzunehmenden Gegner.

Aber auch die Hamburger hatten an diesem Nachmittag kein Durchsetzungsvermögen. Wenn auch in der letzten Spielminute das St. Paulianer Burgsmüller-Pendant Rüdiger Wenzel (gerade 36 geworden) - unter großem Beifall kurz zuvor als Joker einge

wechselt - einen krachenden Schuß über's Bremer Tor setzte.

Die Hamburger Fans allerdings fiberten um ihre Elf, als spiele diese mit letztem Engagement um Sein oder Nichtsein. Die Biertrinker verschluckten sich eins ums andere Mal, wenn der emsige Andre Golke gegen die Werder-Abwehr anrannte, die Herren vom Kiez bissen bei den wenigen Bremer Kontern auf ihre Goldkettchen und ihr Anhang kratzte sich die Tätowierungen von der Haut, wenn Ippig im Zentrum des Geschehens stand.

Wie gesagt, die Bremer Fans hatten da nichts zu lachen. Die zweite Neuerwebung ihrer Mannschaft, der Neuseeländer Wynton Rufer, blieb fast unsichtbar, lediglich Votava und Borowka ließen ahnen, daß hier ein Titelaspirant aufgelaufen war. Der Rest der Titelaspiranten tat vor allem eins: Transpirieren. Das 0:0 war gerecht, wen aber interessiert schon Gerechtigkeit, wenn's um nicht weniger als die Lufthohheit über den Fußballstadien geht?!

Michael Berger