„Wir sind zu sehr im Oppositionsdenken festgefahren“

■ Ralf Fücks, politischer Kopf der Grünen und Bürgerschaftsabgeordneter, ist seit Februar von der Bremer Politik-Bühne verschwunden - Wohin?

taz: Du bist bald fünf Monate in Bonn und einer der drei Sprecher der Grünen - man hört seit dieser Zeit weniger vom Bundesvorstand der Grünen.

Ralf Fücks: Das ist sicher richtig. Weniger polarisierenden Lärm.

Gibt es ein, zwei politische Initiativen aus der Bonner Vorstands-Arbeit, bei denen Du sagen würdest: Das trägt meine Handschrift?

Fücks: Es gibt ein paar Aktivitäten, mit denen ich mich identifiziere. Zum Beispiel der Brief an Gorbatschow, den wir im Vorfeld des Besuchs des sowjetischen Reformators in der Bundesrepublik verfaßt und veröffentlicht haben und in dem zum ersten Mal umfassender eine grüne Position zur Perestoika und deren Rückwirkungen auf das West-Ost -Verhältnis in Europa formuliert wurde. Zum

Beispiel die Konzeption zu dem Perspektiven-Kongreß, also dem grünen Strategie-Kongreß im Oktober ...

Da werden die Ergebnisse der vertraulichen rot-grünen Gespräche präsentiert?

Fücks: Die sind, glaube ich, bisher äußerst mager. Bisher hat ja nur ein Vorgespräch um die hochideologische Frage Nato - Ja oder Nein stattgefunden.

Warum bist Du daran nicht beteiligt?

Fücks: Ich war eingeladen und informiert, habe mich aber ferngehalten, weil ich finde, daß die Zeit nicht reif ist für offizielle Verhandlungen und weil ich zweitens mich nicht strömungspolitisch instrumentalisieren lassen will.

Kann ein Vorstandssprecher Fücks den grünen Tanker

lenken?

Fücks: Wenn ich diese Vorstellung gehabt hätte, über den Bundesvorstand den Kurs der Grünen zu lenken, dann hätte ich sie in diesen viereinhalb Monaten deutlich relativieren müssen. Ich wollte Impulse setzen. Auch das erweist sich als mühsam, weil die Arbeitsbedingungen des Bundesvorstandes ihn eher auf die Verwaltung der laufenden Angelegenheiten reduzieren.

Was wollen die Grünen für 1990 erreichen?

Fücks: Gute Frage. Mich beunruhigt, daß die Grünen darauf bisher nur eine unscharfe Antwort haben. Es ist im Bundesvorstand inzwischen weitgehend Konsens, daß die Grünen 1990 eine rotgrüne Mehrheit anstreben müssen. Aber was wollen wir damit? Mich treibt die Frage um, ob nicht

die gesellschaftlichen Voraussetzungen herangereift sind, auf einigen Hauptfeldern der gesellschaftlichen Entwicklung tatsächlich qualitativen Wechsel in der Politik durchzusetzen, ähnlich wie Ende der 60er Jahre eine neue politische Hegemonie in der Bundesrepublik sich herausgebildet hat.

Was wären das für Felder?

Fücks: Diejenigen, bei denen die Grünen sehr viel mehr mobilisieren können als sie an Stimmen bei Wahlen auf sich ziehen. Das Bewußtsein von der Dramatik der ökologischen Krise ist so weit verbreitet, daß die Bereitschaft zu einschneiden ökologischen Reformen groß ist. Ich gehe davon aus, daß der demokratisch Wille in der Bevölkeung wächst das Bestreben, selbst sich einzumischen und mitgestalten zu wollen. Eine neue Stufe der Demokratisierung von Politik steht an, auch betrieblich eine Erweiterung von Mitbestimmung in den Betrieben.

Die Zurückgabe von Kompetenzen an die Gesellschaft würde auch die rot-grüne Koalition entlasten, wenn der Staat nicht mehr allein die Verantwortung für die politischen Entscheidungen übernehmen muß.

Das dritte Feld ist eine historische Wende von der Aufrüstungs-zur Abrüstungsdynamik. Die Voraussetzungen dafür werden geschaffen durch die revolutionären Veränderungen in Osteuropa. Der Warschauer Pakt als militärische Klammer ist de facto in Auflösung, das führt zur Erosion der alten Feindbilder in der Bundesrepublik. Wir sind an einem Punkt, wo eine tatsächliche Wende zur Abrüstung und zu einer Zusammenarbeit mit Osteuropa mehrheitsfähig in der Gesellschaft ist. Damit werden Ressourcen frei für ökologische und soziale Reformen.

Der vierte Punkt, auf den sich eine Reform-Allianz stützen müßte, wäre eine Politik der so

zialen Grundsicherung, die notwendig wird durch die zunehmende Krise der alten sozialen Sicherungssysteme und auch der Familie als Versicherungsgemeinschaft. In all diesen Fragen könnte sich eine Reform-Regierung auf Mehrheiten Stützen, die größer sind ald die 50 oder 51% für SPD ud Grüne. Verrückterweise gibt es darüber kaum eine Diskussion.

Warum gibt es die nicht?

Fücks: Ich habe dafür keine Erklärung. Vielleicht ist die Identitätskrise der Opposition, soweit sie aus der linken Tradition kommt, zu tief, um bereits zu einer neuen gesellschaftlichen Initiative fähig zu sein, denn die alten Leitbilder sind rettungslos zerfressen und wir können keine Systemalternative gegenüber dem Kapitalismus mehr formulieren. Vielleicht sind wir zu sehr im Oppositionsdenken festgefahren und trauen uns nicht mehr die Kühnheit zur Gestaltung der Gesellschaft zu.