ACHT-TONNEN-STIMMUNG

■ Carillonkonzerte neben der Kongreßhalle

Jeden Sonntag um 14 Uhr sitzt Geoffrey Bossin 30 Meter über der Erde in einem schwarzen Glockenturm und spielt Carillon. Zu seinen, die Holztastatur bedienenden, Füßen liegen Konzertbesucher leger im Gras verteilt, kickende Kinder und knatschige Großmütter friedlich vereint, von Glockenklängen umhüllt. Das Repertoire reicht von Mozart bis „Ruckizucki“ wobei letzteres die Picknicker zum stark-emotionalen Mitklatschen bewegt.

Das Idyll ist den 68 Glocken des Carillons zwischen Kongreßhalle und Tempodrom zu verdanken. Die 48 Tonnen Glocken-Gesamtgewicht bewegt der Carilloneur mit Fäusten und Füßen. Und nach ganz normalen Noten. In seine „Spielkabine“ (in die man laut Senatsverwaltung jedoch niemanden mitnehmen darf...) bewegt er mit Holzknüppeln die Klöppel in den Glocken. Allein das tiefe „F“ wiegt schon schlappe acht Tonnen. In New York hängt ein tiefes „C“ mit beeindruckenden 18,5 Tonnen in der Luft. Da das System nicht automatisch, sondern mechanisch funktioniert, kann der Carilloneur laut und leise spielen, von zart bis hart ist hier also alles drin.

Im Jubel-(Stress-)Jahr 1987 wurde das Carillon von der Firma M.Bonz zur „Wiederbelebung der Berliner Carillonkultur“ gespendet. 1,3 Millionen Mark kostete das Instrument, der Turm gerade mal noch vier Millionen Mark. Damit hat sich Berlin mal wieder in die Euro-Guinnes-Garde eingereiht, es ist nämlich das größte Carillon Europas und das viertgrößte der Welt.

Die meisten Carillons stehen in Geoffrey Bossins Heimat Amerika. Die meisten europäischen Carillons wurden durch die beiden Weltkriege zerstört und gerieten dann zunehmend in Vergessenheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg standen in Berlin noch zwei, jetzt haben wir zwar wieder eins, aber es kann nur ein Mensch in dieser Stadt darauf spielen - Geoffrey Bossin.

Seine vom Senat unterstützte Agentur „CarillonConcertsBerlin“ organisiert die Friede-Freude -Eierkuchen-Romantik mit Carilloneuren aus aller Welt, umsonst und draußen. An der Carilloneur-Nachfolge wird zur Zeit nicht gearbeitet, da man dieses Instrument hier nicht lernen kann, höchstens in Amerika. Insofern besitzt Geoffrey Bossin auch das unvergleichliche Privileg als „Glockensachverständiger“ und Monopol-Küster den schwarzen Turm zu verwalten, offenbar eine Lebensaufgabe. Denn alle anderen Glockentürme müssen ohne „Glockensachverständige“ auskommen.

Tine Wagnis

Glockenstimmungslieder wieder nächsten Sonntag, 14 Uhr am Carillon an der Kongreßhalle, Eintritt frei, Programme erhältlich am Turm. Die Konzerte finden bei jeder Witterung statt!