Swinging Metropolis

■ 37. Requiem

Die traurigen, schweren Töne, die der leichten Muse den Atem nehmen, jene grauenhafte Nähe von befreiendem Klang & Erstickungstod, Tränen, Angst & Galgenhumor, all dies sind Klumpen im Hals des Lachenden. Lachen als Schutz oder aus zeitlicher Ferne, über gewitzte Fans, Musiker, Filmschaffende, die sich dem Zugriff der Nazis entziehen, hintenrum höhnen, dem Wissenden zwinkernde Kassiber zukommen lassen, im Rahmen des Möglichen, akustisch & optisch von Bühne & Leinwand. Lachen vor allem über haarsträubende Dummheiten öffentlicher Ignoranten - ein chaplineskes Lubitsch-Lachen. Es kippt ins Moll!

Ein Fernsehteram bringt zwei Jazzer aus alten Zeiten zusammen; im Rahmen einer Dokumentation über Coco Schumann erfährt Kollege Helmut Zacharias von dessen Verbleib, und zwar als Gitarrist der Ghetto Swingers im Lager Theresienstadt - einer der wenigen, die überlebten. Zur Täuschung einer Untersuchungskommission des Internationalen Roten Kreuzes spielen sie im September 1944 ein letztes Mal auf, als der hinterhältige Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ gedreht wird. Der dicke Kurt Gerron, beliebter Schauspieler, erster „Tiger Brown“ der „Dreigroschenoper“, muß zu diesem Anlaß ein Lagerkabarett, Das Karussell, auf die Beine stellen. Er ist dabei, als kurz drauf der große Transport nach Auschwitz stattfindet. Dort, auf dem Weg ins Gas, so berichtet man, sei er gezwungen worden, den „Kanonen-Song“ anzustimmen.

Die Ghetto-Swingers, entstanden aus der tschechischen Band Killer Dillers, werden aufgelöst, fast alle Musiker ermordet. Fritz Weiss, ihr als auffallend beschriebener Klarinettist, hätte überleben können, doch da er seine gebrechlichen Eltern nicht allein reisen lassen will, geht er, ohne eigentlich zu wissen, was ihn erwartet, mit ihnen in den Tod. So steht er inmitten zitternder, frierender Menschen und bläst ihnen die „Rhapsodie in Blue“ als Lebewohl.

Beim Sterben dabei auch drei Freunde aus guter alter Kadeko-Zeit (Kabarett der Komiker): Otto Wallburg, Max Ehrlich & Willy Rosen. Einige sind erst vor wenigen Wochen aus Hollywood dazugestoßen, aus dem Lager Westerbork. Hier ging's einigermaßen; Rosen, kurz zuvor noch Rudolf Nelsons Kabarett-Konkurrent in Amsterdam, dichtete gar ein Abschiedspoem, „Goodbye Of A Long-term Resident“: „My dear Westerbork, I must take my leave / On account of which I sadly grieve / Tough you often treated my harsh and unkind / Yet you remain peaceful in my mind. / My Westerbork, you vexed me a great deal / And yet you had your own kind of sex -apeal...“

Und noch einer dichtet, was das Zeug hält, ums Leben oder um zehn Mark. Die nämlich bekommt der, welcher dem SS -Sturmbannführer Rödl ein Lied über Buchenwald vorlegt. Fritz „Dein ist mein ganzes Herz“ Löhner & der Wiener Kabarettsänger Hermann Leopoldi (der wunderbarerweise entlassen wird und nach Amerika fliehen kann) schreiben das Lied - es wird akzeptiert: „O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, / Weil du mein Schicksal bist. / Wer dich verließ, der kann ermessen, / Wie wundervoll die Freiheit ist.“ Löhner stirbt bald im Nebenlager Buna bei Auschwitz, an Entkräftung und behält nicht Recht mit seinen Zeilen „Doch mich frißt kein Tiger, mich schlägt kein Hai, / Der Tod geht täglich an mir vorbei. / An mir beißt der Teufel die Zähne sich aus. / Ich fühl es: ich komm aus der Hölle heraus! / Ich warte!“

Buchenwald, Endstation, Mordstation für Fritz Grünbaum, Conferencier damals auch beim Kadeko. Ihn erwischen die braunen Eindringlinge in Wien; erst mal schaffen sie ihn ins Notgefängnis der Gestapo in der Karajangasse. Mithäftling Bruno Kreisky erinnert sich, sie „mußten am frühen Morgen aufstehen und die Strohsäcke alle hoch aufgeschichtet an der Wand plazieren, und den ganzen Tag mußten wir gehen, gehen, gehen; das waren die kleinen Bosheiten, die sie uns antun wollten, und da sah Fritz Grünbaum zu mir herauf und sagte: ‘Und die da draußen glauben, wir sitzen!“

Norbert Tefelski