Suchtprobleme im Spiegel der Medien

■ Wie sich die Öffentlich-Rechtlichen zu einem gesellschaftlichen Problem äußern

Die alljährlich fällige Horrormeldung aus der Polizeistatistik über die bundesdeutsche Drogenszene, Stand 1988: 673 Tote, ein Anstieg von mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Eine Zahl allerdings, die bloße Statistik bleibt, die nichts bewirkt, nichts bedeutet und letztlich kaum jemanden abhalten wird, Drogen zu nehmen, der sich einmal dazu entschlossen hat. Das belegt ein zweites Resultat der polizeilichen Erhebungen: Für den gleichen Zeitraum werden 7.000 Einsteiger in den harten Drogenkonsum registriert. Aufgerüttelt werden durch solches Zahlenmaterial, scheint es, immer nur die, die ohnehin mit größter Wahrscheinlichkeit nicht an der Nadel landeten, und selbstredend die Medien. Das Thema ist spektakulär und hat den Kitzel des exotischen Milieus, Illegalität, Prostitution und jede Menge Leichen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist es auch seit ca. 20 Jahren ein Standard, ein Klassiker inzwischen als öffentliches Ärgernis, gleichermaßen faktisch wie inszeniert. So sah sich das Zweite bereits vor Jahren veranlaßt, eine „Suchtwoche im ZDF“ zu proklamieren. Letzten Donnerstag abend nun gab es gleich auf beiden großen öffentlich-rechtlichen Kanälen Dokumentationen über Süchtige und Suchtverhalten: In der ARD lief der Film “... dann bin ich eben weg, na und?“ von Eike Besuden, im ZDF im Rahmen der Reihe „Doppelpunkt vor Ort“ die Sendung „Tödliche Träume“ von Dietmar Westenberger. Obgleich in beiden Dokumentationen mit ähnlichen Mitteln gearbeitet wird - im wesentlichen Interviews mit Drogenkonsumenten, Süchtigen und Leuten aus dem Umfeld, Eltern, Freunden etc. - , liegen die Resultate weit auseinander. Einen Eindruck davon vermitteln schon die Titel der Sendungen: Im ersten Fall ein Zitat, eine Fixerin spricht über ihren Tod, über den „Schuß“, der der letzte sein könnte; im zweiten Fall dagegen nichts als eine inhaltsleere Phrase, ein Stabreim um jeden Preis, der genauso taugte als Überschrift eines Zeitgeist-Artikels über Autorennfahrer oder als Headline einer Anti-Aids -Kondomwerbung. Was die Titel versprechen, wird von den Filmen denn weitestgehend auch gehalten.

In Eike Besudens Bericht über „das kurze, trostlose Leben der Manuela H.“ geht es um einen konkreten Fall: Manuela H., 24 Jahre alt, ledig, ein Kind und - soeben beerdigt. Herzversagen nach exessivem Tabletten- und Heroinkonsum. Dieser Biographie, die eingeht in die Chronik der Bremer Drogenszene, reduziert auf das Merkmal, die 30.Leiche des laufenden Jahres gewesen zu sein, versucht der Film, eine Wirklichkeit jenseits der Statistik zu verschaffen. Das bedeutet: verzichten. Verzichten vor allem auf ein Wiederkäuen jener simplen, grobgestrickten Erklärungsmuster, wie sie im Kontext der Drogendiskussion von nahezu jedermann, ob nun am Stammtisch oder vor laufender Kamera, zum besten gegeben werden.

Besuden tut dies, auch wenn er sich bisweilen den gehobenen Zeigefinger nicht zu verkneifen vermag, so gut er kann. Der Film zeigt die Fixerszene Bremens so, wie sie sich organisiert und äußert, in ihren fatalen Gesetzmäßigkeiten ebenso wie in ihren skurrilen Besonderheiten, zeigt sowohl die verqueren Episoden am Rande der Szene als auch ihre brutalen Härten - ohne Kommentar. Das Geschehen geschieht und die Kamera läuft.

Herangehensweise und Anspruch der ZDF-Dokumentation sind, man ahnt es bereits, von solcher interpretatorischer Enthaltsamkeit weit entfernt. Vier Fallbeispiele werden präsentiert, dreimal Heroin, einmal Alkohol. Zwei der Heroinkonsumenten sind inzwischen clean; der dritte Fall ein deutsches Pärchen, das in der Amsterdamer Drogenkolonie hängengeblieben ist, sie Prostituierte, er Dealer, erscheint ebenfalls im Verhältnis zu jedem der Bremer Junkies geradezu bürgerlich. Man kann sich des Eindrucks einfach nicht erwehren, daß hier massiv handverlesen wurde, um bloß nicht die Zumutbarkeitsgrenze für den Michel und seine Frau zu überschreiten. Inszenierte Interviews mit viel Weichzeichner und hilflos reumütigen Texten: Das irritiert nicht so wie eine junge Frau, die völlig zugedröhnt vors Objektiv taumelt und Mühe hat, einen kurzen Satz ins Mikrophon zu lallen. Statt dessen ertönt aus dem Off während der Sprechpausen der Interviews eine sonore, betroffenheitstriefende Stimme, die billigste Ratschläge der Sorte erteilt, die im Endeffekt auf den Tip hinauslaufen, besser kein Heroin zu nehmen. Ähnlich sind die Resultate, die am Schluß der Sendung übrigbleiben: Drogen sind gesundheitsschädlich, kosten zuviel Geld und werden von deinen Mitmenschen nicht gern gesehen, letzteres gilt besonders für die Eltern. Wie sagte doch die Mutter einer Süchtigen, und vielleicht war dies der einzige authentische Moment in diesem Film: „Wenn sie nur sterben könnte... Wir sind Katholiken, aber da haben wir gedacht, könnt‘ sie nur sterben.“

Marcel Hartges