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Die Parias des modernen Spaniens

500 Marokkaner leben in Elendshütten ohne Wasser und Strom am Rande von Madrid / Polizeirazzien gegen „die Mauren“ / Spanische Arbeitgeber profitieren von der Schutzlosigkeit der Illegalen / EG drängt auf stärkere Kontrollen  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Von der Landstraße aus gesehen ein idyllisches Tälchen, mit Rinnsal, sanften Hügeln und Büschen. Doch wie so oft ändert sich dieser Eindruck beim Näherkommen. Hinter dem Gelände einer Omnisbusfirma schließt sich eine Düngemittelfirma an. Wenn man die Berge stinkenden Mists der Düngemittelfabrik hinter sich gelassen hat, öffnet sich vor den Augen ein Geisterdorf.

Etwa 40 verlassene Hütten quetschen sich in die Talsohle. Hütten aus Wohlstandsmüll: Karton, Holz, Blechdosen, selbst ausgediente Bettgestelle dienen als Wände und Dächer. Ihre Bewohner haben die rechteckigen Kästen mit großen Plastikplanen umhüllt und mit Seilen festgezurrt afrikanische Bauweise, 20 Kilometer von Madrid entfernt. Die Hütten stehen offen. Im Inneren improvisierte Doppelbretter auf fünf Quadratmetern Platz. Ein alter Gaskocher, verrostete Konservendosen, in der Ecke liegt ein Luftpostbrief mit arabischen Schriftzeichen. Eine Ratte verschwindet raschelnd unter einer alten Männerhose. Die Decken auf den Matratzen sind zurückgeschlagen und zeugen vom hastigen Aufbruch der Schlafenden.

Am 25.Juli kam die Polizei zum ersten Mal. Mitten in der Nacht fiel sie in die Barackensiedlung ein und nahm 16 Marokkaner fest, die hier lebten. Zweimal kam sie seitdem wieder, das letzte Mal in der vergangenen Woche. Über 40 wurden seither mitgenommen, mehr als 30 von ihnen nach Marokko abgeschoben.

Über Jahre hinweg hatte es in dem Dorf Boadilla del Monte niemanden gestört, daß sich Marokkaner in der Nähe der Gemeinde ihre Hütten bauten. Daß die meisten der jungen Männer keine Aufenthaltserlaubnis und keine Arbeitserlaubnis hatten, war ein offenes Geheimnis. Doch die Ausländer bauten für wenig Geld und ohne Arbeitsvertrag in Boadilla del Monte Luxuswohnungen für die Madrider Mittelklasse, die nicht mehr in der versmogten und lauten Hauptstadt leben will. Die Marokkaner arbeiteten viel und für wenig Geld, und nachts zogen sie sich in ihren Slum zurück, wo sie ohne Strom und fließend Wasser hausten, von Kanalisation nicht zu reden. Doch in der letzten Zeit seien sie zu viele geworden, befand der Bürgermeister des Orts. Die Frauen im Dorf hätten Angst vor ihnen gehabt. Nein, mit Rassismus habe das nichts zu tun.

Nach der ersten Razzia begannen viele der Marokkaner, nachts im Freien zu schlafen, um weiteren Zugriffen durch die Polizei zu entgehen. Nach der dritten Razzia haben sie den Slum verlassen. Sind an die Küste geflohen oder nach Madrid, in der Hoffnung, dort irgendwo unterschlüpfen zu können. Drei junge Männer sitzen nahe der Siedlung unter einem Busch. Alle drei stammen aus dem Rif, der ärmsten Gegend Marokkos, und leben seit mehr als einem Jahr hier. Arbeiten in den Dörfern der Umgebung auf dem Bau, für 5.000 Peseten am Tag, knapp 80 Mark, das reicht, um Geld an die Familie in Marokko zu schicken. Keiner von ihnen hat reguläre Papiere, auch wenn sie das erst nach einer Weile erzählen. „Mit der Arbeit hier ist es kein Problem“, sagen sie, „wenn das Wohnungsproblem nicht wäre.“

Die Spanier mögen an Marokkaner keine Wohnungen vermieten. Es ist der alte Haß der spanischen Katholiken gegen die Mauren, die ehemaligen Herrscher der iberischen Halbinsel. Dieser Haß zwingt die Marokkaner, sich in Slums in der Nähe ihres Arbeitsplatzes anzusiedeln. Doch zu althergebrachten Ressentiments gesellt sich ein Druck der modernen Art: Seit Spanien der EG beigetreten ist, drängen die übrigen EG -Mitgliedsstaaten darauf, daß es die Kontrolle über die Ausländer verschärfe. Wenn es in einem Land, das zu großen Teilen von Wasser umgeben ist, schon schwerfällt, den unkontrollierten Zugang zum Festland zu verhindern, dann muß dem ungehinderten Einreisen wenigstens die Kontrolle im Land selbst entgegenstehen. Wenn Nord- und Schwarzafrikaner sowie Lateinamerikaner weiterhin fast ungehindert in Spanien einreisen, so die Furcht der übrigen EG-Länder, dann könnte Spanien zum Transmissionsriemen für eine massive Einwanderwelle in den anderen Ländern werden. Die spanische Regierung gibt diesem Druck nach. Im Juli 1985 wurde ein neues Ausländergesetz verabschiedet, das schärfere Bedingungen schafft und viele Ausländer zu Illegalen gemacht hat. 5.000 Ausländer sind nach Angaben aus Flüchtlingshilfekreisen seither ausgewiesen worden. Insgesamt leben vermutlich etwa 500.000 Ausländer im Land.

Laut Gesetzestext wird ein Arbeitgeber, der einen Arbeiter illegal beschäftigt, mit einer Geldstrafe von wenigstens einer halben Million Peseten (ca. 75.000 Mark) bestraft. Doch die Gesetzeshüter schließen an dieser Stelle regelmäßig die Augen. „Warum werden diese Leute nicht an ihrem Arbeitsplatz festgenommen“, fragt Redouan von der Marokkanerorganisation AEME ironisch. „Weil sie in den Villen der Reichen als Pförtner und Gärtner arbeiten, weil sie bei den großen Bauunternehmen im Sold stehen, und mit denen will sich die Regierung nicht anlegen.“

Die Slums hinter Boadilla del Monte sind verlassen. Ratten laufen durch die offenen Türen. Fliegen verirren sich vom nahegelegenen Misthaufen hierher. Aus dem Rinnsal, das von weitem wie ein idyllisches Flüßchen aussah, stinkt es. Die letzten drei Bewohner der Baracken, die unter dem Busch, werden heute von Mitgliedern einer Füchtlingshilfeorganisation nach Madrid gebracht und dort versteckt. Doch in ein paar Tagen geht die Suche von neuem los. Suche nach einem Arbeitsplatz, Suche nach einem neuen Slum.

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