Kommandoaktion: Ein Scheich als Faustpfand Israels

Beirut/Tel Aviv (afp/taz) - Die offenbar von der israelischen Regierung beschlossene Aktion eines Militärkommandos, das am Freitag den mutmaßlichen Führer der Organisation Hizbollah aus dem Südlibanon nach Israel entführte, hat unter Schiiten Empörung ausgelöst und wurde von westlichen Ländern kritisiert. Die proiranische Hizbollah forderte in einem am Samstag veröffentlichten Kommunique die UNO auf, alles zu tun, um Scheich Abdel Karim Obeid und seine beiden mit ihm verschleppten Leibwächter freizubekommen. Andernfalls werde sie selbst die „ihr geeignet erscheinenden Maßnahmen“ ergreifen. Ähnlich äußerten sich der Oberste Rat der Schiiten, die höchste Instanz dieser Glaubensgemeinschaft im Libanon, sowie die prosyrische schiitische Amalbewegung. Die beiden früher verfeindeten Schiiten-Milizen Amal und Hizbollah riefen am Samstag gemeinsam zu einem Generalstreik auf. Amal-Chef Berri: „Die Entführung von Obeid ist kein gewöhnliches Kidnapping, sondern eine Aggression gegen alle Schiiten.“ UN -Generalsekretär Perez de Cuellar forderte am Samstag in Paris die sofortige Freilassung der drei entführten Libanesen. Großbritannien und die USA distanzierten sich ebenfalls von dem Kommandounternehmen, bei dem ein Mensch umgekommen war. Der israelische Minister für innerarabische Angelegenheiten, Ehud Olmert, konterte: „Ich bin davon überzeugt, daß die meisten Amerikaner stolz gewesen wären, wenn ihre Regierung den Willen und die Fähigkeit besäße, ähnliche Aktionen gegen Kidnapper von Amerikanern zu unternehmen. Im Libanon kann man gar keine Maßstäbe von Recht und Ordnung anlegen, das wäre lächerlich“, so der Minister. „Jedermann bricht dort das Gesetz, und niemand beachtet dort die Grundregeln menschlicher Anständigkeit. Wie können wir da außer mit unkonventionellen Methoden operieren?“

Im Libanon werden derzeit neun Amerikaner und vier Briten als Geiseln festgehalten. Ihre Kidnapper werden zum größten Teil in den Reihen der Hizbollah vermutet. Scheich Obeid soll unter anderem in die Entführung des 1988 im Südlibanon verschleppten amerikanischen Oberstleutnants der UN -Friedenstruppen, Richard Higgins, verwickelt sein. Ein israelischer Armeesprecher, Oberst Raanan Gissin, erklärte am Samstag, Scheich Obeid sei zur „Abschreckung“ entführt worden, weil er in Wirklichkeit der militärische Chef der Hizbollah im Südlibanon sei. „Es ist klar, wenn man einen ihrer Anführer fängt, kann dies als Abschreckung gegen Terrorismus dienen und man hat ein gewisses Druckmittel in der Hand.“ Obeid dient offenbar als Faustpfand für die Freilassung dreier israelischer Soldaten, die seit 1986 im Libanon festgehalten werden.

a.w.