SPD setzt auf Debatte um alliierte Vorrechte

Die Sozialdemokraten hieven die Frage der vollen Souveränität der BRD auf die Bonner Tagesordnung / Damit soll auch den REPs das Wasser abgegraben werden  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Eigentlich besteht wenig Anlaß, ausgerechnet im Sommer 1989 über die begrenzte Souveränität der Bundesrepublik zu klagen. Die Führer der Supermächte gaben sich in Bonn die Klinke in die Hand, und Präsident Bush versicherte dem ehemals besetzten Land seine weltpolitische Bedeutung: partner in leadership. Und doch ist sie wieder da, diese schillernde Forderung nach mehr Souveränität. Man kennt sie seit Jahren schon - hauptsächlich aus der Grauzone zwischen links-nationalistischen Friedenszirkeln und der Neuen Rechten. Diesmal sind es jedoch Sozialdemokraten, die einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen. 45 Jahre nach Kriegsende dürften die verbündeten Truppen auf deutschem Boden keine anderen Rechte mehr genießen als in den übrigen Nato-Staaten, fordert Parteichef Jochen Vogel. Er erwägt sogar die Kündigung des Nato-Truppenstatuts, das seit 1963 die Rechtsbeziehungen zu den ehemaligen Besatzungsmächten re gelt.

Bereits im vergangenen Jahr nahm sich die SPD dieses Themas an, nun setzt sie es lauter auf die Tagesordnung der Bonner Politik. Denn der Zeitgeist verspricht Konjunktur: Man redet wieder über Deutschland und die Nation, und da geht es nicht nur um geographische Grenzen.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin reiste eigens nach Washington, um Kongreßabgeordneten und Beamten zu erklären, was Deutsche „kränkt“. Im „Institute of German Studies“ referierte sie eine lange Liste von Klagen: Bundesdeutsche Flugzeuge dürfen die Grenze zur DDR nicht überfliegen; US-Geheimdienste schnüffeln hierzulande ohne „partnerschaftliche Regelungen„; Manöver und Tiefflüge belästigen die Bevölkerung; Waffen könnten im Einzelfall ohne Absprache modernisiert werden, und im Widerspruch zur deutschen Verfassung darf über US-Army-Angehörige in der BRD die Todesstrafe verhängt werden. Diese Vorrechte seien nur aus der „historischen Konstellation“ der Nachkriegszeit erklärbar und entbehrten heute der Rechtfertigung. Und vor allem: Sie vertrügen sich nicht mit einer gleichberechtigten Rolle der Bundesrepublik in der Nato. Diese Gleichberechtigung, und zwar „in allen Einzelfragen“, müsse aber hergestellt werden, „um das Bündnis dauerhaft zu sichern“.

Ins Leere läuft da der Vorwurf aus den Reihen der Union, die SPD wolle antiatlantische Emotionen schüren und die Nato diffamieren. Ganz im Gegenteil: Das angeschlagene Image der Nato soll verbessert werden. Der Abbau der alliierten Vorrechte sei nämlich geeignet, „die nach wie vor bestehende Zustimmung der Bevölkerung“ zu den Stationierungstruppen „zu stärken“, heißt es in einem Papier der Bundestagsfraktion. Während die Polemik gegen die „Besatzer“ in links- wie rechtsnationalistischen Kreisen häufig mit der Forderung nach Neutralität oder Nato-Austritt verknüpft wird, argumentiert die SPD genau umgekehrt. „Alles, was uns besonders stört“, erklärt der Abrüstungsexperte Hermann Scheer, „ist keine Folge der Nato, sondern der alliierten Vorbehaltsrechte.“ Und: „Die Nato hat uns nicht weniger Souveränität gebracht, sondern eher mehr Mitsprache.“

Die historischen Fakten geben Scheer recht: Ohne ihren Nato -Beitritt hätte die Bundesrepublik niemals ihre heutige außenpolitische Handlungsfähigkeit und militärische Hochrüstung erlangen können. An eine andere historische Tatsache wollen Sozialdemokraten aber nicht mehr erinnern: daß nämlich die Integration der Deutschen in die Nato auch deren Kontrolle diente. Bei ihrem Abflug nach Washington verlangte Herta Däubler-Gmelin, der alte Spruch dürfe nicht mehr gelten, nach dem die Nato auch gegründet worden sei, „um die Deutschen unten zu halten“.

Das waren Worte für das heimische Publikum: Denn mit der Debatte über mehr Souveränität will die SPD erklärtermaßen nicht nur tieffluggestreßte Bürger bedienen, sondern auch die aufstrebende deutschtümelnde Klientel am rechten Rand. Den „Republikanern“ müsse „das Wasser abgegraben“ werden, erklärt Däubler-Gmelin, sonst würden die aus den „ungelösten Fragen“ der alliierten Vorrechte noch mehr „Honig saugen“. Das sozialdemokratische Echo auf den Ruf nach mehr Deutschland pur soll aber zeitgemäßer sein als bei den REPs: Schönhuber predige die Rückkehr zu einem Nationalitätsbegriff des 19. Jahrhunderts, und dies sei „der falsche Weg“. „Wir sagen vielmehr: Je souveräner die deutsche Politik wird, desto weniger bedarf sie des souveränen Nationalstaats.“

Offen bleibt, wohin das führen soll. Immerhin ist der klassische Mangel an bundesdeutscher Souveränität der erzwungene Verzicht auf eigene Atomwaffen. Die in Washington vorgetragene Mängelliste erweckt hingegen den Eindruck, es solle um einen Abbau militärischer Präsenz gehen, um weniger Manöver zum Beispiel. Ginge es tatsächlich vorrangig um Abrüstung, dann lenkt der Streit um die Verträge aus der Nach-Besatzungszeit aber ab. Diese Abkommen bilden zwar ein schwer durchdringliches juristisches Dickicht. Doch hat jeder bisherigen Bundesregierung der Wille gefehlt, ihren unstrittigen Handlungsrahmen für friedenspolitische Zwecke überhaupt auszuschöpfen. Ramstein hätte nicht genehmigt zu werden brauchen, bundesdeutsche Tiefflüge könnten eingestellt werden; und auch die Teilnahme an den heftig umstrittenen Wintex-Cimex-Manövern ist nicht zwingend.

Unter einer künftigen SPD-Regierung wäre diese Politik kaum anders.

Wie wenig ernst der Ruf nach mehr Souveränität nämlich genommen wird, wenn er sich wirklich einmal gegen wichtige militärstrategische Interessen der Amerikaner wendet, zeigt das Beispiel des Abkommens „War Time Host Nation Support. Die Kündigung dieses deutsch-amerikanischen Beistandspakts hatte 1986 der Nürnberger Parteitag verlangt, weil die BRD durch die vorgeschriebenen Hilfsleistungen für die US -Streitkräfte in deren Kanonenbootpolitik im Nahen Osten hineingezogen werden könnte. Vor wenigen Wochen fand die SPD -Initiative ihr unrühmliches Ende. Die Fraktion gab sich zufrieden mit einem beschwichtigenden Brief des Verteidigungsministers an den Auswärtigen Ausschuß: Der Bundestag werde rechtzeitig informiert, so verspricht die Hardthöhe, wenn die Amerikaner die Ausrufung des Krisenzustands verlangten. Und eine deutsche Unterstützung für Out-of-area-Einsätze werde es nicht geben.

Im Bundestag vermerkte die Grünenabgeordnete Angelika Beer einen „überschäumenden Optimismus“ bei den Sozialdemokraten: zu glauben, ein bloßer Brief von der Hardthöhe werde garantieren, was die US-Regierung wohlweislich bisher niemals garantieren wollte.