: Die Russen sind schuld
„Die chemische Industrie muß Technologien entwickeln, die auch ökologisch für unsere Gesellschaft akzeptabel sind. Dabei müssen die von einer Technologie ausgehenden Risiken derart reduziert werden, daß ein gefährlicher Unfall vermieden wird.“ Das erklärte der Geschäftsführer von Dow Chemical in Stade, Bernhard Brümmer, am 4.Juli bei der Bilanz-Pressekonferenz seines Unternehmens. Genau zwei Wochen später purzelten auf der „Oostzee“ bei schwerem Seegang die Giftfässer mit dem Dow-Chemical-Produkt Epichlorhydrin durcheinander, begann es auf dem Schiff „nach Parfüm“ zu riechen. Seitdem hört man nichts mehr von ökologischer Akzeptanz.
Dafür wird, seit das Giftschiff durch die Medien geistert, fieberhaft nach einem Schuldigen für die Havarie gesucht und vor allem nach demjenigen, der für den Schaden haftet. Ist für eine Chemiefirma mit der Bereitstellung einer (hochgefährlichen) Ware der Job erledigt oder trägt sie auch für eine ordnungsgemäße Beladung und den Transport zumindest Mitverantwortung? Dow lehnt das rundweg ab. Im Chemie -Geschäft hänge die Transporthaftung vom Einzelfall ab, sagt Geschäftsführer Brümmer. Entscheidend seien die Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer. Das Epichlorhydrin sei „free on board“ ab Rotterdam geliefert und bereits an die Sowjetunion verkauft worden. Damit liege die Verantwortung bei dem vom Käufer gecharterten Reeder Kroons Burgh und die Haftung bei dessen Versicherung. Auch Brümmer kritisiert die „völlig unsachgemäße“ Verstauung der Fässer auf dem Frachter. Aber Dow habe damit nichts zu tun.
In der Haftungsfrage hat am Freitag der niederländische „Havarie-Kommissar“ die Position von Dow geteilt. Mit dem Verkauf an die Sowjetunion stehe der Konzern nicht mehr in der Verantwortung. Der Chemiegigant (Exporte in 63 Länder, weltweit 55.000 Beschäftigte, 29 Milliarden Jahresumsatz) ist damit fein raus und kann sich als kulanter Helfer in der Not profilieren. Der Einsatz des Stader Dow-Werkes sei ein ausschließlich freiwilliges Hilfsangebot, das in der chemischen Industrie bei Unfällen aller Art einer eingespielten Praxis entspreche, versichert Brümmer.
Unterdessen hat der Cuxhavener Seelotse und Nautikexperte Karl Kühne schwere Vorwürfe gegen die Schiffsführung der „Oostzee“ erhoben. Kühne kritisierte diesmal nicht die fehlenden Schutzanzüge an Bord, sondern den Leichtsinn, mit einer solch brisanten Fracht, die auch noch unsachgemäß verstaut war, in ein Schlechtwettergebiet zu fahren. Dies lasse auch die nötige nautische Qualifikation vermissen.
Bundesverkehrsminister Zimmermann will unterdessen „prüfen“, warum die „Oostzee“ so schlecht ausgerüstet war und ob die Vorschriften für Gefahrguttransporte auf See verbessert werden müssen. Als „Stückgut“ ausgewiesen, war die Ladung des Frachters nicht einmal meldepflichtig. So wurde die Verstauung auch nicht kontrolliert. Und doppelwandige Fässer oder Spezialcontainer sind bei Chemikalientransporten auf dem Wasser nicht vorgesehen.
dpa/taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen