Wißbares - von vorne und hinten

■ Sommerpause, es wird geprobt und umgebaut: Kleiner Gang durch die Häutungen der Staatstheaterland schaft

Vorne am Goethetheater künden große Spruchbänder, daß es am 16. September los geht. Hinten ist zu sehen, daß es längst losgegangen ist. Hinten, das ist im Hof zwischen dem 'Großen Haus‘ des Goethe- und trotz seines Namens vornehmlich Musiktheaters und dem 'Kleinen Haus‘, dem Schauspielhaus. Dort krakt ein riesiger gelber Kran in die Luft über dem dreigeschossigen Anbau am Goethetheater. Durch die leeren Fensterhöhlen ist ein verwirrter Zulieferant zu sehen, der seine Eisengeflechtmatten bei niemanden loswird. Zehn Meter tief sei unterkellert, erklärt mir ein auskunftsbereiter juger Bauarbeiter( es stimmt also nicht, daß die alle nach Alkohol stinken und/oder Frauen ankalauern), da kämen die Kulissen hinein, drüber der große Saal sei für die Theaterschlosserei. Und da kommt die Malerwerkstatt hin und dort die Bühnenschneiderei.

Seit einem halben Jahr wird gebaut. Für etwas mehr als 25 Millionen wird dem Goethetheater eine Bühnentechnik eingezogen, die Bühnenarbeiter einsparen und den Spielbetrieb flexibler und profitabler machen soll. Gebaut wird bis Ende Spielzeit 1991, bis dahin weicht das Musiktheater auf diverse Spielstätten aus, von Ernst-Waldau -Theater bis Schlachthof. Oben auf dem Tisch des Planungsbüros der Firma Glade & Partner hält das Protokoll unter 3.2.A. fest, daß der geplante Zeitrahmen - bislang -eingehalten ist.

Auch für andere ist es schon losgegangen, hier hinten. Über den Hof schlendert ein junger Mann und eine junge Frau, sie in Hosen mit einem Reithosenbesatz in safrangelb.? . Sie gesellen sich zu den anderen jungen Leuten, die sich im Schauspielhausfoyer ein

gefunden haben. Einer in weißem Hemd skandiert dort unter der Glasglocke gestenstark auf einen andern ein. Der Glaskäfig behält es für sie. Hier braut sich das neue Ensemble zusammen. Seit Mitte Juli, nach der letzten Vorstellung des alten Ensembles, wird hier geprobt. Die ersten Schauspielpremiere, „Liebe und Anarchie“ von Lina Wertmüller ist am 30. September angesetzt. Und dann geht es Schlag auf Schlag, am 6. Oktober soll Brechts „Arturo Ui“ kommen, am 15. Oktober Gaston Salvatores „Stalin“. Knapp zwei Monate also noch zum Proben und zum Erfinden, was das sein wird, das Bremer Ensemble.

Von hinten wieder nach vorne, vor der Fassade drehen sich 15 Ikonen. Kehrt sie der Wind um, sind es dreißig. Dreißig Gesichter aus dem neuen Ensemble machen sich mit dem Anblick der Stadt vertraut, und umgekehrt. Der da, den der Wind jetzt von der Rückseite zur Vorderseite macht, den kenne ich ausnahmsweise, das ist Ilja Richter im lockigen Haar. Und der da in der Mitte mit dem vorsichtigen Schwerenöterblick, das ist Ullo von Peinen, hat auch schon mal in Bremen gespielt. Und die da, die ungerührte Blickende mit der Löwenmähne um das große Gesicht, das könnte die mit dem Safranreithosenbesatz sein. Aber wer ist ist die?

Die Namen zu den Gesichtern verrät ein Heft, das man in der Kassenhalle bekommt. Die ist offen und ein Versammlungsraum für Bretter und umbaunützliche Eimer. Das Heft, kündet ein Zettel, gibt's beim Bühnenpförtner. Ob der noch da ist?

Er ist. Er sitzt vor etlichen Hundertschaften von elektrischen Schalthebeln und hinter zwei Telefonen, der Bildzeitung und dem begehrten Heft an sei

nem angestammten Platz. „Wir müssen immer da sein,“ sagt Herr Roeder und meint damit noch vier Kollegen und die drei, die Nachtschicht schieben und von einem privaten Schließdienst gestellt werden. Der Intendant ist in Ferien, die Proben im Musiktheater

beginnen erst am 21. August, aber hier kommt immer mal jemand vorbei. Z.B. einer der fünf Dirigenten, der sich seine Post raus holt, oder der Telefonmeister oder jemand, der jemanden sucht. „Ein Betrieb mit 500 Leuten,“ sagt Herr Roeder nicht un

stolz und er kennt die meisten, die Neuen natürlich noch nicht. Apropos: Die mit dem ungerührten Blick, sagt das Heft, heißt Maria und trägt den Namen des eisernen Kanzlers. Ich hätt mir das ja fast denken sollen, Reithosenbesatz in Bremen!

Uta Stolle