Willkommene Sündenböcke

■ Seit Monaten ist in der DDR ein ausländerfeindliches Flugblatt im Umlauf: Darin wird der Haß gegen Polen, Vietnamesen und Sowjetbürger geschürt

Aufgetaucht ist es in mehreren Städten der DDR, so zum Beispiel in Karl-Marx-Stadt, Hoyerswerda, Dresden, Rostock und Berlin. Dieses Flugblatt in „lyrischer Form“ (primitivste Reime sind angebracht, wenn es um primitive Inhalte geht) erzählt aus dem „Alltagsleben“ eines „armen“ DDR-Bürgers, der sich in den Geschäften leeren Regalen gegenüber sieht, zu Weihnachten kein Weinachtstännchen ins traute Heim stellen kann, keine Schlüpfer zu kaufen bekommt und überdies Silvester keinen Strom hat. Und wer ist an der alltäglichen Frustration schuld? Die „bösen“ Ausländer, die uns alles wegkaufen! (Bei Strom und Weihnachtsbäumen erscheint mir das - Verzeihung!- etwas fragwürdig.) Zusatzfrage: Wie verhalten sich eigentlich DDR-Bürger im Ausland?

Dieses Flugblatt jedenfalls stieß bei großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung. Bleibt also die Überlegung, aus welchen Gründen. Diese Reaktionen nur als primitiv oder vereinzelt darzustellen hieße, es sich etwas leicht machen. Wahr ist, daß hier arbeitende Ausländer (was meiner Meinug nach auch ihr gutes Recht ist) Dinge, teilweise auch massenhaft, kaufen, die es in ihren Ländern nicht gibt. Der daraus erwachsende Mangel an diesen Dingen ist natürlich ein Ärgernis für die hier Lebenden, was durchaus verständlich ist. Das hätte übrigens die Regierung einplanen müssen, als sie es für richtig hielt, für Dreckarbeiten, die niemand machen will, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Eine Lohnerhöhung für solche Arbeit wäre wohl zu unbequem gewesen.

In den Köpfen der Leute stellt sich also offensichtlich ein Zusammenhang her zwischen der existierenden Mangelwirtschaft (nicht vergleichbar übrigens mit anderen osteuropäischen Ländern) und den hier arbeitenden Ausländern. Aber wie schon am Beispiel vom Strom und Weihnachtsbäumen deutlich wird, existiert die Tendenz, absurderweise den Ausländern jetzt jeglichen Mangel anzulasten...

Und was ist mit der öffentlichen Aufklärung und Diskussion über diese Themen? Sind solche „Gedichte“ das Ergebnis vierzigjähriger Vergangenheitsbewältigung? Man muß feststellen, daß hier in diesem Land, dessen Regierende scheinbar den Antifaschismus gepachtet haben, nationalistische, rassistische und sogar faschistische Tendenzen nicht mehr zu leugnen sind. Und die Reaktion darauf?

Bla, bla, bla. Eigenartigerweise will kaum jemand auf den Gedanken kommen, die Regierung wegen der schlechten Planung veranwortlich zu machen. Es wird statt dessen auf die Schwachen gehetzt. Nach oben bücken, nach unten treten hier haben wir wieder das ewig gleiche deutsch-faschistische Charaktermodell...

gekürzt aus 'Umweltblätter‘ 3/89, Ost-Berlin