Neue Heimat macht DGB-Kreise heimatlos

Ärger im Deutschen Gewerkschaftsbund: Der Bundesvorstand will elf Millionen Mark Personalkosten einsparen / Sparkonzept elegant „Strukturreform“ genannt  ■  Von Maria Kniesburges

Die Beschäftigten des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Landesbezirk Bayern sind inzwischen auf alles gefaßt: „Soll nach der Neuen Heimat ein weiterer schwelender Skandal vertuscht werden?“, so ihre Frage in einem DGB-internen Rundbrief. „Will man sich für einen solchen Skandal mit finanziellen Rückstellungen rüsten, falls eine Vertuschung nicht möglich ist?“ Auslöser derart düsterer Vermutungen in Kreisen der DGB-Beschäftigten ist das immense Sparprogramm, das der DGB-Bundesvorstand dem eigenen Verband per Beschluß vom Mai dieses Jahres verpaßt hat.

Quer durch die DGB-Kreisverbände vom Süden bis hinauf in den hohen Norden schwillt seither der Unmut; die Düsseldorfer DGB-Zentrale hat sich wieder einmal dicken Ärger in den eigenen Reihen eingehandelt. Schon im vergangenen Herbst, noch Monate vor der Beschlußfassung, hatte es Protest aus den DGB-Landesbezirken gegen die Sparpläne gesetzt (siehe taz vom 22.9.88). Genützt hat es nicht. Sauer sind die Kolleginnen und Kollegen vor allem aus einem Grund: „Nachdem wir über Jahre hinweg gegen den Glaubwürdigkeitsverlust der DGB-Gewerkschaften durch den Neue-Heimat-Skandal und seine Fortsetzungen a la coop anzukämpfen hatten, haben wir jetzt auch noch das finanzielle Desaster auszubaden“, bringt ein Kollege seinen lange angestauten Frust auf den Punkt.

„Strukturreform im DGB“ lautet der offizielle Titel des DGB -internen Sparkonzepts. Unter den Beschäftigten des DGB dagegen nennt man das Ganze schlicht und deutlich „Personal -Kahlschlag-Politik“.

Gespart wird in den

unteren Rängen

Immerhin die stolze Summe von rund elf Millionen Mark an Personalkosten will der DGB gemäß dem Beschluß des Bundesvorstandes künftig pro Jahr einsparen. Den größten Batzen davon, so ist es vorgesehen, sollen die untersten Organisationseinheiten, die DGB-Kreisverbände, mit 5,5 Millionen Mark verknusen. Auf Ebene der Landesbezirke sollen insgesamt 2,5 Millionen eingespart werden, die Bundesvorstandsverwaltung ist gehalten, die Personalkosten um 2,7 Millionen abzuspecken. Und auch der geschäftsführende Bundesvorstand soll sich bescheiden: Statt bisher neun sollen ihm künftig nur noch acht Mitglieder angehören. Da dafür, wie auch für einige andere Vorhaben aus dem Konzept, eine Satzungsänderung vorgenommen werden muß, wird hierüber der DGB-Bundeskongreß im Frühjahr 1990 zu entscheiden haben.

Die enormen Einsparungen von 5,5 Millionen Mark in den DGB -Kreisen sollen vorrangig nach dem einfachen Muster erfolgen: „Aus zwei DGB-Kreisen mach einen.“ Durch die sukzessive Zusammenlegung eines großen Teils der bisher 214 selbständigen DGB-Kreise sollen insgesamt mindestens 40 DGB -Kreise von der gewerkschaftspolitischen Landkarte verschwinden. Dabei werden nicht nur fast ebensoviele DGB -Kreisvorsitzende ihrer Posten verlustig gehen: „Im Gefolge trifft es dann natürlich auch DGB-Organisationssekretäre und selbstverständlich auch die Verwaltungskräfte“, sehen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort die Entwicklung voraus.

Eine große Zahl der DGB-Kreisvorstände hat inzwischen Protest gegen die sogenannte „Strukturreform“ eingelegt. Auch die Betriebsräte in der Organistaion haben eindeutig Stellung gegen die Vorstandsverordnung bezogen: „Die Mehrheit der Beschäftigten im DGB lehnt diese Pläne ab“, erklärte die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats im DGB, Karola Pelzer, unmittelbar im Anschluß an den Beschluß.

„Entlassungen“, so wird unterdessen aus der DGB-Zentrale beteuert, „wird es natürlich nicht geben.“ Man setzt auf die natürliche Fluktuation und das Mittel „Versetzung“. Damit steht nun auch den DGB-Beschäftigten die von Arbeitsämtern und Arbeitgebern stets beschworene und geforderte „Mobilität der Arbeitnehmer“ ins Haus, genauer gesagt ins Gewerkschaftshaus, die sie als aktive Gewerkschafter doch jahrelang als unzumutbar politisch bekämpft haben.

Doch nicht nur gegen den geplanten drastischen Personalabbau erheben die hauptamtlich Beschäftigten und ihre Betriebsräte im DGB Protest. Ebenso wie zahlreiche ehrenamtliche GewerkschafterInnen und die DGB-Kreisvorstände warnen sie die Gewerkschaftsspitze vor den zu erwartenden gewerkschaftspolitischen Auswirkungen des Sparprogramms. Insbesondere in ländlichen Bereichen, in denen vorwiegend Klein- und Mittelbetriebe angesiedelt sind, wird die ohnehin schon schwierige Gewerkschaftsarbeit im Gefolge des Kahlschlag-Programms noch schwieriger werden, lautet die Prognose aus den Kreisverbänden. Zum einen werde die Möglichkeit gezielter Betreuung der Mitglieder vor Ort aufgrund des Sparprogramms erheblich eingeschränkt und zum anderen, so die Befürchtung, laufen die Sparmaßnahmen zwangsläufig auf eine Reduzierung der politischen Präsenz des DGB in den Regionen hinaus.

Daß die geplanten Sparmaßnahmen nicht ohne erhebliche strukturelle und politische Folgeprobleme für die Gewerkschaftsarbeit vor Ort abgehen können, weiß man auch in der Vorstandsetage in Düsseldorf. So wird in dem vom DGB -Bundesvorstand herausgegebenen Funktionärsorgan 'Die Quelle‘ eingeräumt: „Unproblematisch dürfte die Reduzierung der DGB-Kreise nicht werden: In mehr als zehn Prozent aller DGB-Kreise ist keine Gewerkschaft hauptamtlich vertreten, in rund 50 Prozent aller DGB-Kreise sind es nur bis zu drei Gewerkschaften.“ Werden in solchen Gebieten, vor allem auf dem platten Land, nun auch noch die DGB-Geschäftsstellen geschlossen, so werden viele Gewerkschaftsmitglieder künftig kleine Reisen unternehmen müssen, wenn sie ihre nächstgelegene gewerkschaftliche Anlaufstelle erreichen wollen - ganz abgesehen davon, daß so mit einem Schlag jahrzehntelang gewachsene gewerkschaftliche Strukturen zerstört werden.

Kaum noch

Handlungsspielraum

Dennoch: „Alle Stelleneinsparungen sollen zügig verwirklicht werden“, heißt es an gleicher Stelle in der Funktionärszeitschrift. Derzeit sind die Landesbezirke des DGB gehalten, dem Bundesvorstand genauere Vorlagen darüber zu erarbeiten, an welchen Stellen in welchen Zeiträumen das Sparprogramm realisiert werden kann. Viel Handlungsspielraum haben die Landesbezirke dabei allerdings nicht, der finanzielle Rahmen steht fest. „Es geht jetzt nur noch darum, WIE und WO genau die Maßnahmen umzusetzen sind. WAS gespart werden soll, steht fest“, so der Sprecher des DGB -Bundesvorstandes Hans-Jürgen Arlt.

Um den Unmut in den eigenen Reihen so weit wie möglich in Grenzen zu halten, ist man im DGB-Vorstand bemüht, dem radikalen Sparprogramm den Anstrich eines zukunftweisenden Reformkonzepts zu verleihen. So heißt es in der 'Quelle‘: „Aus der Spar-Not soll aber eine Reform-Tugend werden: die Ausgaben sollen nicht nach der Rasenmäher-Methode gekürzt werden; sie sollen reduziert und gleichzeitig effektiver eingesetzt werden: Durch mehr moderne Technik, bessere Ausbildung der hauptamtlichen und stärkere Mitarbeit der ehrenamtlichen Funktionäre. Kurz vor seinem 40. Geburtstag verpaßt sich der DGB eine Reform an Haupt und Gliedern.“

Bisher ist dieser Versuch, die Gemüter zu beruhigen, jedoch allenfalls mit dürftigem Erfolg gesegnet: Gegenüber den knallhart festgelegten Einsparbeschlüssen machen sich die vorgelegten Vorschläge in Richtung einer Organisationsreform allzu mager und vor allem bislang weitaus zu vage aus.

Sparsame „Reform-Tugend“

Bisher wird der Beschluß zur „Strukturreform“ mit so vielversprechend klingenden wie jedoch letztlich nichtssagenden allgemeinen Zielsetzungen: „Der DGB muß mit seinen Gewerkschaften in den nächsten Jahren einige schwierige Aufgaben lösen und sich hierbei auch auf veränderte Rahmenbedingungen für gewerkschaftliche Politik einstellen. (...) Die wachsende Fülle der in nächster Zeit zu lösenden Aufgaben erfordert einige weitreichende politische Entscheidungen über die vom DGB vorrangig wahrzunehmenden Aufgaben sowie über Veränderungen der Organisationsstruktur des DGB.“

Die konkreten Stichpunkte, mit denen der DGB seine weiteren Schritte ins Jahr 2000 sodann markiert, lauten: Effektivierung der Arbeitsteilung zwischen dem Dachverband DGB und den in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften, die „Anschaffung und Anwendung moderner Arbeitsmittel sowie von Text- und Informationsverarbeitungssystemen“, verstärkte „Investitionen in ein verbessertes Aus- und Weiterbildungssystem der hauptamtlich Beschäftigten des DGB“, stärkere Einbeziehung der „ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen in die Arbeit des DGB“ über eine Stärkung der DGB-Ortskartelle sowie Durchforstung beziehungsweise Straffung der Personengruppenarbeit des Dachverbands. Für diese organisationsinternen Vorhaben, vor allem für die Weiterbildung und die Einführung neuer EDV-Ausrüstung, sollen nach dem Willen des Bundesvorstandes per Umschichtung künftig 6 Millionen Mark mehr zur Verfügung stehen.

So klar und unmißverständlich der DGB-Bundesvorstand aber festgelegt hat, wo die Personalschere anzusetzen hat, so wenig erhellende Auskunft vermag bis heute jemand darüber zu erteilen, welche gewerkschaftspolitischen Vorteile und Auswirkungen die Einführung neuer Text- und Informationsverarbeitungssysteme beispielsweise erbringen könnte. Hierüber, so weiß man auch in der DGB -Vorstandsverwaltung, wird vor allem „eine Effektivierung der Verwaltungsarbeit“ erzielt. „Aber“, so argumentieren die Mitglieder in den Kreisen, „dringender als EDV-Anlagen brauchen wir Personen, die mit den Leuten reden, Menschen, die die politischen Ziele des DGB vertreten und politische Aktionen anschieben und koordinieren können.“

Die nun, so will es der DGB-Bundesvorstand, sollen zukünftig eben stärker aus den Reihen der ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen kommen. Verstärkt werden soll die Funktion und innerorganisatorische Stellung der DGB -Ortskartelle, der Zusammenschlüsse aller Mitglieder von DGB -Gewerkschaften in einer Kommune oder einem Stadtbezirk. In den aktiven DGB-Ortskartellen selbst allerdings wird diese Art der Neubesinnung auf ihre Existenz eher als schlechter Witz verstanden. „Natürlich“, so die Vorsitzende des DGB -Ortskartells Hann. Münden-Bonaforth in Niedersachsen, Kirsten Mensch-Schäfer, „haben wir nichts, aber auch gar nichts gegen eine organisationspolitische Stärkung der Ortskartelle einzuwenden. Aber wenn damit der Kahlschlag in den DGB-Kreisen verkauft werden soll und wir quasi den ehrenamtlichen Ersatz für die hauptamtlich Beschäftigten stellen sollen, dann verliert man doch irgendwann die Lust, noch weiter zu machen.“

Schon jetzt haben die ehrenamtlichen Mitglieder der DGB -Ortskartelle, die das gewerkschaftspolitische Leben vor Ort aktiv mitgestalten, reichlich ausgefüllte Feierabende. Demnächst sollen sie im Zuge des Sparprogramms zusätzlich Aufgaben aus den DGB-Kreisgeschäftsstellen übernehmen. Im DGB-Bundesvorstand wird das allerdings so formuliert: „DGB -Ortskartelle sollen wichtige Funktionen einer örtlichen Anlaufstelle erfüllen und hierdurch Beiträge für eine möglichst tiefgestaffelte Präsenz des DGB in der Fläche leisten. Zugleich sollen sie die DGB-Kreise bei der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben entlasten. Dies setzt allerdings die Unterstützung und Koordination der Arbeit der Ortskartelle durch die DGB-Kreise voraus.“ Daß von letzteren dann allerdings etliche gar nicht mehr vorhanden sein werden, ist den reformorientierten Kollegen im Bundesvorstand an dieser Stelle keine Silbe wert.

„Das Problem ist doch“, meint die Gewerkschafterin Kirsten Mensch-Schäfer, „daß die Kollegen auch bei der Arbeit durch neue Formen der Arbeitsorganisation immer mehr voneinander isoliert werden. Das bedeutet, daß wir die Leute verstärkt abends erreichen müssen. Und dazu brauchen wir auch weiterhin Unterstützung von hauptamtlicher Seite - und zwar vor Ort. Man muß näher an die Mitglieder ran, statt immer weiter wegzugehen.“

Die Gewerkschafter in Hann. Münden sind dabei derzeit nicht nur mit dem Sparprogramm im DGB konfrontiert. Im Mai dieses Jahres beschloß bereits die IG Chemie die Durchrationalisierung der eigenen Organisation. Folge: Die IG Chemie-Verwaltungsstelle Hann.Münden wird dichtgemacht. Fortan wird es in Hann. Münden dann überhaupt keine Stelle mehr geben, wo die ehrenamtlichen Kollginnen und Kollegen, auf die doch jetzt verstärkt gesetzt werden soll, auch nur noch eine Einladung zu einem Diskussionsabend vervielfältigen und verschicken können. So hatte man sich die Stärkung der ehrenamtlichen Arbeit allerdings nicht vorgestellt.

Und auch der Leiter der Organisationsabteilung beim DGB -Bundesvorstand in Düsseldorf, Peter Pletsch, muß beim Thema „Präsenz von Ansprechpartnern in den Regionen“ einräumen: „Das ist ein Problem. Und wir werden auch noch lange brauchen, bis wir das gemeinsam gelöst haben werden.“ Auf die Frage, wie sich denn die Stärkung der Ortskartelle konkret gestalten solle, erklärte Pletsch wenig konkret: „Darüber muß noch eine ausführliche Diskussion geführt werden.“

Kein Wort über Organisationsdefizite

Brüskierte DGB-Beschäftigte wie auch ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen aus den Ortskartellen resümieren unterdessen, hier werde versucht, Ideen für Reformen und Umstrukturierungen in der Organisation zwar aufzugreifen, um damit aber letzlich nur das gravierende Sparprogramm zu kaschieren. Sowohl die Idee, neuen Schwung durch Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeit in die Organisation zu bringen, als auch die Idee einer grundsätzlichen Strukturreform erfreut sich längst schon breiter Akzeptanz. Allerdings haben viele Gewerkschaftsmitglieder dabei zum Stichwort Organisationsreform etwas ganz anderes im Sinne als der DGB -Bundesvorstand.

Der Betriebsrat im DGB-Landesbezirk Bayern formuliert das in seiner Replik auf das Konzept „Strukturreform“ so: „In der Situationsschilderung der Arbeitsgruppe (beim DGB -Bundesvorstand, d.Red.) findet sich kein Wort über die Organisationsdefizite, die dazu führten, daß Gewerkschaftsvorstände zugelassen haben (bewußt oder aus Nachlässigkeit), daß aus Milliarden von Gewerkschaftsvermögen über (gemein-)wirtschaftliche Abenteuer Milliarden Schulden wurden. Diese Strukturen sind nach dem Neue-Heimat-Skandal nicht angekratzt worden. Sonst wäre es undenkbar, daß der engste Vertraute des Vorsitzenden H.0. Vetter, Herr Otto, Chef der coop wurde. Für diese Fehler haben wir bereits mit Mehrarbeit, Nerven-, Gesundheitsbelastung und Lohnverzicht bezahlt. Ganz zu schweigen von dem Ansehensverlust des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften.“

Und ernsthaft mag auch in den oberen DGB-Etagen niemand mehr den Zusammenhang zwischen Sparzwang und Neue-Heimat -Debakel von der Hand weisen. Abgesehen von allen kursierenden und nach wie vor unübersichtlichen Zahlen weiß man in der Mitgliedschaft, daß die 7,1 Millionen Mark, die der DGB seit Jahren jährlich an Krediten der Lappas -gebeutelten DGB-eigenen BGAG aufzubringen hat, schließlich irgendwoher kommen müssen - auch wenn offiziell alle Sparmaßnahmen gern auf sinkende Beitragseinnahmen zurückgeführt werden.

Der Ärger sitzt tief - und das wird sich wohl auch bis zum nächsten DGB-Bundeskongreß im Frühjahr 1990 nicht ausräumen lassen. Dort könnten ganz andere Anträge zur Organisationsreform im DGB zur Abstimmung stehen, als es sich der Bundesvorstand bisher träumen läßt. In der Diskussion sind die Stichworte: stärkere Kontrolle, mehr Transparenz und finanzielle Rechenschaftspflicht der gewerkschaftlichen Managerriege.