Am Anfang stand ein Apfelkuchen

■ Frisbee als Mannschaftssport - Weltmeisterschaft in Köln Fair-Play, Hip-Hop und Outfit beim „Höchsten und Elementarsten“

Auf den ersten Blick scheint es etwas unübersichtlich: Ein Haufen buntgekleideter junger Menschen tollt in zahlreichen Siebener-Formationen fünf Turniertage lang über die 14 Spielfelder auf den Kölner Jahnwiesen, hastet also rund ums Müngersdorfer Stadion in keinesfalls immer mannschaftsweise einheitlichen Hemdchen, Radfahrerhosen, Beutelshorts und unter umgedreht aufgesetzten Baseballmützen zwischen den weiß staubenden 110*37-Meter-Linien umher, schnappt im akrobatischen Segelflug-Hupfern nach scheibenförmigen Wurfgeschossen, quäkt „Check“ und „Strip“ und „Travelling“, zählt sich dazwischen aus unverständlichem Anlaß auf Englich gegenseitig an und verläßt mannschaftsweise nach etwa zwei Stunden den Rasen, nachdem ganz offenbar irgendwer gewonnen hat.

Bei dem bunten Getobe handelte es sich schließlich um eine offizielle Weltmeisterschaft, da muß einer gewinnen - einer der wenigen Punkte, die der seit vergangenem Mittwoch auf den Jahnwiesen betriebene Mannschaftssport mit herkömmlichen Sportarten gemein hat.

Die World Ultimate Club Championships - die erste Vereins-Weltmeisterschaft im ultimativen Frisbee -Mannschaftssport - trafen dementsprechend zunächst auf, gelinde gesagt, unvorbereitete Zaungäste, auf Radfahrer, Hundehalter und Spaziergänger. „Wir haben das am Anfang auch nicht verstanden“, beruhigt da das ältere Ehepaar auf soliden Tourenrädern den gassiführenden Herrn mit Dackel, der gleichermaßen fasziniert wie verständnislos auf den Rasen stiert, auf dem sonst bloß Freizeitkicker und Studenten der nahegelegenen Sporthochschule mit höchst konventionellen Leibesübungen den Nachmittagsspaziergang versüßen.

Wo Waldi nämlich gewöhnlich in aller Ruhe sein Geschäft erledigt, tobte bis Sonntag der Frisbee-Kult übers Gras: „Pop-Schönheiten in Bewegung“, kleine, runde amerikanische Mythen, Accessoires zur „Grundausstattung des modernen Großstadthelden“ (PR-Text der Frisbee-Lizenzhalter ASF und Wham-O). Am Spielfeldrand staksen während der Spiele immer ein paar farblich passend gekleidete Figuren umher, krähen „Joe, ...where...are...you“ oder „Michele, uno in dietro“, andere lassen zum allgemeinen Vergnügen etwas Hip-Hop und Acid aus restlos überdimensionalen Ghetto-Blastern wuppern, man ißt Müsli, Obstsalat, Bratwurst vom Grill und trinkt Bier zum Sport, kauft bunte T-Shirts vom Gegner (sehr begehrt: die lila Hemdchen des „Cota Rica Rimini“, wunderbar: die Ethno-Patterns auf schwarzem Kapuzenpulli der „Horizontal Hombres“) oder an neutralen Verkaufsständen.

Sechshundert Menschen aus 13 Nationen tapern zwischen solchen Aktivitäten irgendwann zwecks Leistungsvergleich einigermaßen unorganisiert, aber stets pünktlich aufs richtige Feld. Da spielen sie dann Ultimate („Alti...was?“) - das Höchste, Elementarste, Allerletzte und populärste Mannschaftspiel mit den urbanen Flugscheiben, die nach einer Bäckersfrau in Conneticut schlicht Frisbee genannt werden. Bei Ma Frisbie nämlich kauften 1948 die Studenten der benachbarten Yale-Universität ihren Apfelkuchen auf speziellen Tortendeckeln, die leergegessen über ganz außergewöhnliche Flugeigenschaften verfügten. Kommilitone Fred Morrison ließ den Plastik -Kuchenuntersatz als Frisbee patentieren. Heute treiben sie damit Sport.

Ultimate, das Mannschaftsspiel zur Pop-Kult-Scheibe, ist dabei ähnlich akademisch wie der Frisbee selbst: ein restlos intellektuelles Spiel zur Idee des Fair-Play, eins mit Spannung, ausgefuchsten Wurftechniken, Schnelligkeit, Spaß und spektakulären Bauchlandungen, aber ohne Körperkontakt. 1968 haben sich's Studenten der Columbia -Universität New Jersey direkt in den Flower-Power-Peace-und -Gerechtigkeit-Trend der Zeit gedacht: Zwei Mannschaften von jeweils sieben Spielern versuchen - ähnlich wie im Rugby durch präzises Werfen und Fangen die Endzone (den 23-Meter -Rand an den schmalen Enden des Spielfeldes) des Gegners zu erreichen, ohne mit dem Frisbee in der Hand herumzutraben oder den Gegener über den Haufen zu rennen. Jeder absichtliche Körperkontakt gilt als Foul. Wird die Scheibe von einem Mitglied des eigenen Teams in der gegnerischen Endzone gefangen, gibt es einen Punkt. Gespielt wird bis 18 oder 21 Punkte, oder auf Zeit.

Die ganze Sache wird ohne Schiedsrichter gespielt. „Das ist besonders für die deutsche Mentalität sehr schwierig“, erläutert Marcus Pieper, Spielertrainer der mehrfachen Deutschen Ultimate-Meister Kangaroos aus Essen, unter himmelblauem Baseball-Käppi. Er zählt längst zu den Hard -Core-Liebhabern der mythischen runden Scheibchen: der Sport als Lebensstil, als persönliche Haltung. „Du wirst richtig süchtig danach, nach drei Wochen ohne Frisbee werd‘ ich hibbelig. Wenn ich irgenwo damit Geld verdienen könnte, würd‘ ich zwar nicht gern meine Jungs hierlassen, aber das wäre schon mein Traum. Vielleicht so'n Scheich mit 30 Kunstrasenplätzen und 70 bis 80 Söhnen, Enkeln und Schwagern. Aber eigentlich kannst du nirgendwo in der Welt mit Ultimate Geld verdienen.“

Normalerweise legt man eher drauf. Fürs Kölner Turnier etwa zahlte jeder Teilnehmer zwischen 100 und 375 Mark (je nach Unterbringung in der Jugendherberge oder im Queens-Hotel) für Sport, Abendveranstaltung, Fahrdienst und Versicherung. „Normalerweise“, sagt Kangaroo Pieper, „schlafen wir bei Turnieren in Turnhallen. Aber hier kommen die Leute aus den Staaten, aus Tokio und Neuseeland - da braucht man für fünf Tage schon mal ein Bett.“

Torsten Görke, gemeinsam mit Thomas Siepmann WM-Organisator der veranstaltenden Team Action Sports: „Die gesamte WM hat ein Budget von 150.000 Mark. Das geht beim Davis-Cup für die Portokasse drauf. Wir brauchen dafür Startgelder und Sponsoren. Trotzdem ist es faszinierend, wer hier zusammenkommt. Da sind Leute von der Nasa dabei, Ärzte und welche, die ein paar tausend Kilometer getrampt sind und eigentlich gar nichts machen.“

Für die Anreise u.a. aus Taiwan, Zaire oder Canada hatten die 600 Kölner Frisbee-Cracks mit so rasanten Mannschaftsnamen wie „Boston Massacre“, „Groove Connection“ oder „Red Lights“ (aus dem Amsterdamer Rotlichtbezirk) aber im allgemeinen immerhin einen Sponsor. Das senkt die Kosten des WM-Erlebnisurlaubs. Und was stört's da die Gummibärchen“ aus Karlsruhe (bestes deutsches Herrenteam auf Rang neun), daß es ab dem Halbfinale restlos amerikanisch zuging. Was zählt, ist der spirit of the game, der Sportgeist, den die modernen Großstadt-Cowboys längst zum Kult erhoben haben, die Freaks, die UFO-Ritter, die zöpfchentragenden Yuppies und auch der frisbeehungrige Manager der amerikanischen Bayer-Werk-Niederlassung. Er tauschte zwischen den Spielen das Graffiti-inspirierte Turnierhemdchen gegen der Maßanzug und hastete zur Busineß -Konferenz nach Leverkusen.

Gewonnen haben, aber das nur am Rande: im Herren-Finale die Philmores aus Philadelphia und Baltimore mit 21:15 über die Aerodynamics aus Houston/Texas, bei den Damen die Lady Condors im schwarzen Batman-Shirt mit 18:15 über die Smithereens aus Boston.

Petra Höfer