Heftiger Streit um Blüms Negativliste

■ Bonn will 350 Millionen sparen / Pharmaindustrie und Ärzteschaft attackieren den Bundessozialminister / Ellis Huber: Lasten werden auf die Versicherten abgewälzt und die Opfer bestraft / 130 homöopathische Präparate und 44 Pflanzenwirkstoffe auf dem Index

Berlin (taz/dpa) - Eine heftige Diskussion hat die am Wochenende bekanntgewordene neue Negativliste für Arzneimittel von Arbeits- und Sozialminister Blüm ausgelöst. Erwartungsgemäß kam vor allem von der Pharmaindustrie heftige Kritik, aber auch die Ärzteschaft attackierte den Minister. Blüm will 350 Millionen Mark jährlich einsparen, wenn die von ihm auf den Index gesetzten Medikamente und medizinischen Hilfsmittel nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden. Die „Wirtschaftlichkeitsreserven“ im System der Krankenversicherung müßten ausgeschöpft und die Leistungen „auf das medizinisch Erforderliche reduziert werden“, heißt es in der Rechtsverordnung. Sie soll bereits im September vom Bundesrat verabschiedet werden. Am 28.August werden die Arzneimittelhersteller angehört, die allerdings von dem Termin keine Korrekturen der umstrittenen Negativliste erwarten.

Das 32seitige Papier des Ministeriums geht vor allem gegen Mischpräparate vor. Von der Versorgung ausgeschlossen sind zum Beispiel alle Arzneimittel mit mehr als drei Wirkstoffen. Außerdem Medikamente mit „nicht nachgewiesenem therapeutischen Nutzen“. Zu letzteren gehören 130 homöopathische Präparate und 44 Pflanzenwirkstoffe wie Dillkraut, Beifuß, Rainfarn, Oleanderblätter usw.

Bei den Kombinationspräparaten wurden zum Beispiel Vitamin -B-haltige Schmerz- und Rheumamittel auf den Index gesetzt oder Herzmedikamente und Beruhigungsmittel, die mit anderen Wirkstoffen kombiniert sind. Komplettiert wird die Negativliste von einer Aufzählung medizinischer Hilfsmittel, die ab dem nächsten Jahr ebenfalls nicht mehr bezahlt werden sollen (siehe Dokumentation S.8).

Der Bundesverband der Pharmaindustrie kritisierte, daß Blüm „bewährte Medikamente“ mit einem Marktwert von 1,5 Millionen Markt ausgrenze. Es sei zu erwarten, daß die Ärzte auf stärkere, mit höheren Risiken behaftete Arzneimittel ausweichen. Betroffen seien vor allem kleinere und mittlere Arzneimittelhersteller und die Produzenten von pflanzlichen und homöopathischen Medikamenten. Die Ausgrenzung von Medikamenten mit mehr als drei Wirkstoffen sei „rein schematisch“ und ignoriere den therapeutischen Nutzen.

Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, sprach gegenüber der taz von einem „neuen Bespiel für die dilettantische Gesundheitspolitik aus dem Hause Blüm“. Es gehe vorrangig darum, „Lasten auf die Versicherten abzuwälzen“. Auf die schwarze Liste der medizinischen Hilfsmittel eingehend, sagte Huber, daß vor allem die chronisch Kranken betroffen seien: „Die Opfer werden noch mal bestraft.“

Blüm werde trotz aller Demagogie nicht verschleiern können, daß sich seine Negativliste gegen die Kranken richte, sagte der Frankfurter Orthopäde Winfried Beck, Vorsitzender des Vereins Demokratischer Ärzte (siehe Kommentar S.8).

Klaus Nöldner, Hauptgeschäftsführer des Hartmann-Bundes, sieht Blüm auf dem Weg in eine „Zweiklassenmedizin“: „Privatversicherte werden das für sie beste Medikament bekommen, und der normale Patient muß sich mit dem begnügen, was ihm Blüms Beamte am grünen Tisch zugestehen“.

Vorsichtiger äußerte sich Heinz Schilcher vom Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren. Die vom Sozialministerium auf den Index gesetzten Pflanzen und homöopathischen Präparate seien zuvor von Fachkommissionen des Bundesgesundheitsamts als unwirksame Arzneimittel ausgeschieden worden. Dieselbe Kommission habe aber mehr als 200 Pflanzen positiv beschieden. Bei 80 Prozent der Pflanzen, die auf Blüms Liste gesetzt wurden, bestehe Einigkeit.

Manfred Kriener