Zeitbombe soll entschärft werden

■ Eine Verordnung soll Mietern ehemaliger Sozialwohnungen Mietsprünge ersparen, doch private Unternehmen können weiterhin mit den Mietern machen, was sie wollen

Einer mietenpolitischen Zeitbombe versucht jetzt der Senat mit einer neuen Verordnung zu begegnen. Gestern wurde auf Vorschlag von Bausenator Nagel beschlossen, für Sozialwohnungen der (noch) gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die aus der Sozialbindung fallen, Mietbegrenzungen festzulegen. Derzeit betrifft das „nur“ 6.700 Wohnungen. Bis 1995 werden es aber 50.000 bis 75.000 sein.

Im öffentlich geförderten Wohnungsbau wurden von den städtischen Gesellschaften seit den fünfziger Jahren 181.000 Wohnungen gebaut. Die Sozialbindungsfrist, an die die öffentlichen Zuschüsse geknüpft sind und die die Mieten festschreibt, läuft zwischen 25 und 40 Jahre. Nach und nach also fallen die Wohnungen aus der Bindung und werden dann behandelt wie freifinanzierte Wohnungen. Bislang für die Mieter der gemeinnützigen Gesellschaften kein Problem. Denn die Gesellschaften durften keine Gewinne machen und mußten die Mieten nach den Kosten berechnen.

Das wird ab 1.1. 1990 anders. Wenn die inzwischen allseits umstrittene Steuerreform in Kraft tritt, wird den bislang gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften die Gemeinnützigkeit abgesprochen. Das heißt, sie dürfen Gewinne machen, also auch kräftig die Mieten ihrer „freien“ Wohnungen erhöhen. Das hätte für die 6.700 Mieter, die dann unter das bundesdeutsche Mietrecht gefallen wären, Erhöhungen von bis zu 30 Prozent in drei Jahren bedeuten können.

Hier wollte der sozialdemokratische Bausenator Nagel, ganz im Sinne der Koalitionsvereinbarung, einen Riegel vorschieben. Die neue „Verordnung zur Begrenzung des Mietanstiegs“ sieht ähnlich wie das Altbaumietrecht vor, daß pro Jahr die Miete nur um maximal 5 Prozent steigen darf. Zu dieser Sonderregelung sind Gebiete mit „erhöhtem Wohnraumbedarf“ berechtigt.

Und noch etwas ist in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung festgehalten. Die städtischen Wohnungsgesellschaften sollen sich per Selbstbindung verpflichten, ihre Grundstücke und Wohnungen zukünftig nicht mehr zu verkaufen. In diesem Sinne sollen demnächst die Satzungen der Gesellschaften, in denen das Land Berlin Mehrheitsgesellschafter ist, geändert werden.

Wohlgemerkt, die Regelung zur Begrenzung des Mietpreises trifft nur die Wohnungen der gemeinnützigen Gesellschaften. Die Wohnungen, die von privaten Trägern mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden, sind davon nicht berührt. Und das sind eine ganze Menge. Von den insgesamt 457.000 (Stand 1.1. 87) öffentlich geförderten Wohnungen wurden mehr als die Hälfte, nämlich 275.000, privat gebaut. Fallen die aus der Sozialbindung, kann der Eigentümer damit machen, was er will. Die Immobilienseiten der Tageszeitungen geben davon Kunde. Ganze Blocks werden zu Spekulationsobjekten aufgeteilt und Kapitalanlegern als Eigentumswohnungen angeboten. Diesem Problem kann nur ein neues Mietrecht abhelfen. Nagel will deswegen, möglichst zusammen mit der CDU, wie er versicherte, in Bonn vorstellig werden.

bf