Kiszczak - Soldat vom Scheitel bis zur Sohle

Der polnische Ministerpräsidentenkandidat vollzieht den Wandel vom Verteidiger des Kriegsrechts zum Fürsprecher des Dialogs  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Es gibt wohl kaum einen polnischen Politiker, über den so wenig bekannt ist, wie über den bisherigen Innenminister Czeslaw Kiszczak.

Kein Wunder. Den Großteil seiner Karriere verbrachte der General im Geheimdienst. Jahrelang war er Chef der polnischen Spionageabwehr. Über sein Leben vor 1945 geben die offiziellen Lebensläufe nur preis, daß er an der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus beteiligt war und anschließend in die polnische Volksarmee eintrat. Als junger Leutnant war er der Londoner Militärmission zugeteilt, wo er - und deshalb steht dies wohl auch nicht in den offiziellen Angaben - vermutlich seine ersten Erfahrungen im Außendienst sammelte.

Danach arbeitete er sich im Geheimdienst langsam nach oben. 1972 wurde er stellvertretender Stabschef des Generalstabs der polnischen Volksarmee und 79 übernahm er das Kommando über jene Armee-Einheit, die bei inneren Unruhen eingesetzt wird. Im August 1981 holte ihn Jaruzelski als Verteidigungsminister. Maßgeblich war er daraufhin an allen Vorbereitungen zur Verhängung des Kriegsrechts beteiligt.

Anders als gelegentlich in Polen zu hören, sprach sich Czeslaw Kiszczak nicht gegen das Kriegsrecht aus. Dem Vorsitzenden des polnischen Schriftstellerverbandes, Jan -Jozef Szczepanski, der mit ihm 82 über die Freilassung einzelner Internierter verhandelte, erklärte er damals, die Verhängung des Kriegszustandes sei eine Notwendigkeit gewesen, um die Beteiligung „äußerer Faktoren“ zu vermeiden: „Es gibt keine Rückkehr zu den Zuständen vor dem August 80, aber auch keine Rückkehr zur Anarchie der letzten Monate.“

Der General, so Szczepanski später, sei überzeugt gewesen, daß Solidarnosc eine blutige Konfrontation gesucht habe. Das Massaker in der Grube Wujek bei Katowice, wo Zusammenstöße zwischen streikenden Arbeitern und Sonderkommandos der Polizei sieben Arbeitern das Leben kostete, bezeichnete Kiszczak als „schmerzhaften Schlag für Jaruzelski und mich“.

„Trotzdem sind wir, die Junta Jaruzelski, keine ordentlichen Generale wie die Türken, die am ersten Tag des Kriegsrechts gleich 1.000 Menschen erschießen ließen“, verteidigte Kiszczak sich später. Tatsächlich scheint er in der Rückschau bemüht gewesen zu sein, die Kosten des Kriegsrechts gering zu halten. Auf Intervention einiger Intellektueller ließ er anstandslos Internierte frei, die krank waren oder kleine Kinder hatten. Kiszczak erkannte bald die Eigendynamik des Kriegsrechts. Hatte er sich anfänglich voll hinter seinen Apparat gestellt, mußte er spätestens bei der Ermordung des oppositionellen Priesters Popieluszko erkennen, daß ihm die Zügel entglitten waren.

Auch Kiszczak war wohl nicht der Ansicht, die politische Provokation hinter diesem Mord sei eine Einzelaktion jener drei Polizisten gewesen, die später verurteilt wurden. Kurz nach dem Prozeß jedenfalls wurde General Plontek, Direktor des vierten Departements des Innenministeriums, zuständig für Kirchenfragen, vom Dienst suspendiert. Etwas später verlor auch Mieczislaw Milewski, den viele seiner guten Kontakte zum KGB wegen für den eigentlichen Anstifter hielten, seinen Sitz im Politbüro.

Kiszczak hat auch die Erschütterungen des Popieluszko -Prozesses überstanden. Noch immer gilt Kiszczak als intimer Vertrauter Jaruzelskis. Wie eng die beiden zusammenarbeiten, zeigte sich bei den Wahlen im Juli. Als deutlich wurde, Jaruzelski könnte die Mehrheit in der Nationalversammlung verfehlen, erklärte sich Kiszczak bereit zu kandidieren, obwohl er mit noch weniger Unterstützung zu rechnen hatte. Als Soldat durch und durch, schien es, würde Kiszczak für seinen Vorgesetzten Jaruzelski auch diese Kastanien aus dem Feuer holen.

Die Opposition indessen hat zu dem 63jährigen General ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits steht er für die Repressionen des Kriegsrechts, andererseits brachte er den runden Tisch zustande. Und nahm das politische Risiko auf sich, trotz zweifelhaften Ausgangs nach den Auguststreiks mehrfach mit Arbeiterführer Walesa zusammenzutreffen. Er war es, der die politischen Garantien für den Dialog gab. Viele Oppositionelle halten ihn für einen Mann, auf dessen Wort Verlaß ist.