Gladbecker Geiselnahme noch einmal life

■ Geisel-Affäre ab heute vor Gericht / Gigantischer Medienrummel um ein spektakuläres Verbrechen / Innenminister Schnoor im Zentrum der Kritik / Polizeiführung in Bremen belog Öffentlichkeit / Düsseldorfer Innenministerium spielte gravierende Polizeifehler herunter

Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Wenn sich heute die Türen im Saal 101 des Essener Landgerichtes öffnen, dann wird es zu einem Hauen und Stechen der besonderen Art kommen: Weit über 100 Pressevertreter werden die 57 reservierten Plätze stürmen und den übrigen Besuchern steht ein Kampf um die restlichen 43 Sitzplätze bevor. Sie alle wollen dabei sein, wenn der Prozeß gegen das Gladbecker Gangstertrio beginnt. Nachdem das Verbrechen ausschnittsweise schon am Fernseher life verfolgt werden konnte, nachdem unzählige Reportagen und Berichte verfaßt und Dutzende von Filmbeiträgen gesendet wurden, gilt das Interesse jetzt dem Life-Auftritt von Hans Jürgen Rösner, Dieter Degowski und Marion Löblich.

Den Dreien werfen die Ankläger u.a. gemeinschaftlichen Mord in zwei Fällen, erpresserischen Menschenraub und mehrere versuchte Morde vor. 81 Seiten umfaßt die Anklageschrift, 200 Zeugen und 14 Sachverständige sollen in Essen zu Wort kommen. Viele dieser Zeugen wurden bereits vor den Untersuchungsausschüssen in Bremen und Düsseldorf gehört. Ist deshalb - abgesehen von dem sich abzeichnenden Knatsch innerhalb des gescheiterten Kidnappertrios - mit Neuem nicht zu rechnen? Kann sich der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor, der in der Folge der Geiselaffäre von der Düsseldorfer Opposition mit Rücktrittsforderungen geradezu bombardiert worden war, also gemächlich zurücklehnen? Wohl kaum, denn der einstige Star im Rau -Kabinett, der einst bundesweit bei der SPD als Antipode zur Zimmermannschen Innenpolitik eine wichtige Rolle spielte, könnte in den kommenden 12 Monaten bis zur Landtagswahl durchaus noch zur Belastung für die SPD werden.

Der CDU-Landesvorsitzende Norbert Blüm zeigte sich schon vor Monaten sicher, von Schnoors Schwächen während der Geiselaffäre noch bis zur Landtagswahl zehren zu können. Die eigentliche Strategie der Opposition bestand bisher darin, den tödlichen Ausgang des Geiseldramas der vermeintlichen weichen Schnoor-Linie zuzuschreiben. Die CDU macht Schnoor, der die von der Union geforderte gesetzliche Verankerung des „finalen Rettungsschusses“ ablehnt, dafür verantwortlich, daß die Polizei nicht früher zugegriffen hat. Die CDU vermutete hinter diesem Vorgehen der Polizei eine direkte Weisung seitens des Innenministers. Vernehmungen von zahlreichen Polizeiführern vor dem Düsseldorfer U-Ausschuß ergaben jedoch, daß eine solche Weisung nicht existierte.

In dieser, für das politische Überleben von Schnoor zentralen Frage, wird der Essener Prozeß deshalb kaum Neues hervorbringen. Auch ein weiterer Vorwurf, die Polizeiführung in NRW habe angeordnet, die Geiselnahme unbedingt in NRW zu beenden, konnte vor dem Untersuchungsausschuß nicht erhärtet werden. Ein rheinland-pfälzischer Polizeibeamter zog in Düsseldorf unter den Fragen der Abgeordneten seine ursprüngliche Darstellung weitgehend zurück. Nicht so sehr die Polizeizeugen, sondern die Vernehmungen der Geiseln und anderer Beteiligter bergen für Schnoor einigen Zündstoff. Spannend ist, ob die Zeugen glaubwürdig belegen können, daß die Polizei durch eine dilettantische Observation des Fluchtfahrzeuges ihre eigene Strategie kaputt gemacht hat. Diese Strategie baute in der ersten Phase des Verbrechens bis Bremen darauf, durch Gewährung des „scheinbar freien Abzuges“ die Täter zur Freilassung der Geiseln zu bewegen und erst danach zuzugreifen. Weil die Polizei aber den Geiselnehmern andauernd auffiel, nahmen die von ihrer ursprünglichen Absicht abstand, die Geiseln bald freizulassen.

Während der Bremer Innensenator über die katastrophalen Fehler seiner Polizei stolperte'könnte Schnoor die Summe der vielen, wenn auch nicht so gravierenden Pannen wie in Bremen noch den Job kosten. Zwar hat Schoor, nachdem er sich zunächst ohne Einschränkung vor die Polizei gestellt hatte, inzwischen „handwerkliche Mängel“ bei der Polizei eingeräumt. Aber seine Bewertung, „keiner dieser Mängel hat den Einsatzverlauf entscheidend beeinflußt“, ist dennoch irreführend. In der Summe haben die polizeilichen Fehler und Versäumnisse, einschließlich der technischen Pannen, den Ablauf des Dramas, das mit der Ermordung von Emanuele de Giorgi und Silke Bischoff endete, maßgeblich bestimmt. Und so ist nicht ausgeschlossen, daß der Prozeß dafür neue Details ans Licht bringt. Offen ist bisher auch noch, ob die drei Angeklagten von ihrem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machen werden. In einem anderen Verfahren, in dem Rösner und seine Komplizin Löblich am Montag als Zeugen aussagen sollten, hüllten sie sich in Schweigen. Bei diesem sogenannten Probeauftritt vor Gericht sollten die beiden Geiselnehmer in einem Verfahren über eine Serie von 42 Raubüberfällen und Einbrüchen aussagen. Den beiden Angeklagten in diesem Prozeß war u.a. vorgeworfen worden, die Waffen beschafft zu haben, mit denen Rösner und Degowski später die Gladbecker Bank überfielen, wo die Geiselnahme dann ihren Anfang nahm.