Israels Dilemma mit den Geiseln

Israels Regierung will sich von dem Vorwurf reinwaschen, mit der Entführung des schiitischen Scheichs Obeid die Ermordung des US-amerikanischen Marineleutnants Higgins provoziert zu haben. Der israelische Geheimdienst soll jetzt Beweise dafür liefern, daß Higgins nicht am Montag gehenkt, sondern lange vorher von der Hizbollah zu Tode gefoltert wurde. Führende Regierungskreise behaupten, man habe im Kabinett eine Hinrichtung von Higgins „nicht in Betracht gezogen“, als die Entscheidung über die Entführung des Scheichs fiel. Vielmehr sei man, so ein hochrangiger Minister, von der Annahme ausgegangen, daß Higgins längst tot war.

Kritik haben hohe Offiziere und Beamte in Jerusalem daran geäußert, daß Verteidigungsminister Rabin die Entführung des Scheichs durch israelische Streitkräfte sofort öffentlich zugab. Sie hätten es lieber gesehen, wenn Israel ähnliches Stillschweigen bewahrt hätte wie nach der Ermordung des führenden PLO-Mitglieds Abu Jihad in Tunis. Das hätte, so meinen sie, Israel vielleicht in die Lage versetzt, geheime Verhandlungen mit der Hizbollah zu führen.

Rabin, so argumentieren hochrangige israelische Kritiker, habe dagegen eine Propagandataktik verfolgt, die sich schließlich als konterproduktiv erwies: Er wollte mit einer waghalsigen Aktion alle von libanesischen Gruppen festgehaltenen Gefangenen und Geiseln befreien und damit Prestige gewinnen. Nur wenige dieser Kritiker haben allerdings Einwände gegen die Entführung als solche.

Außenminister Moshe Arens gab, anders als Rabin, die Parole aus: „Mit Terroristen wie denen von der Hizbollah läßt sich nicht reden. Menschenleben sind ihnen egal, sie sind radikale Verrückte. Die einzige Methode, wie man mit ihnen umgehen kann, ist die Gewalt.“ Und sein Stellvertreter Banjamin Natanjahu erklärte, jetzt gehe es darum, Israels gemeinsame Front mit den westlichen Staaten, vor allem den USA, zu halten und sich im Kampf gegen den Terrorismus zusammenzuschließen.

Israels Regierung befindet sich in ständigem Kontakt mit Washington, es werden nicht nur Informationen ausgetauscht, man koordiniert auch die jeweilige Nahostpolitik. Und jetzt sind Israels Regierende - auch wenn sie es nicht öffentlich zugeben - zunehmend besorgt über die offene Kritik, die in Washington an israelischen Operationen geübt wird, die US -amerikanische Menschenleben gefährden.

Die liberale Tageszeitung 'Haaretz‘ schrieb gestern, der Hisbollah sei es diesmal gelungen, Israel an der Stelle zu treffen, wo es am politisch am verwundbar sei: in seinen hochsensiblen Beziehungen mit den USA. Die Drohung der Hisbollah, weitere nicht-israelische Geiseln umzubringen, stelle Israel vor ein Dilemma: Verantwortung für das Leben von Bürgern befreundeter Staaten zu übernehmen. Wörtlich heißt es in dem Kommentar: „Keiner der hübschen Slogans wie Niemals-dem-Terror-nachgeben ist jetzt anwendbar. Seit Israel die Operation mit dem expliziten Ziel begonnen hat, einen Deal mit Terroristen zu machen, macht Hizbollah die USA und Großbritannien zu unfreiwilligen Partnern solcher Deals. Die ersten Reaktionen aus dem Ausland waren wenig enthusiastisch.“

Amos Wollin, Tel Aviv