Polen: Staunen über die neuen Preise

■ Die meisten Lebensmittel wurden nach der Freigabe der Preise teurer, aber nicht mehr / Schlangen vor den Geschäften weitgehend verschwunden / Westliche Industrienationen beraten Nahrungsmittelhilfe

Warschau (dpa) - In Polen sind am Dienstag die Preise für die meisten Lebensmittel freigegeben worden. Mit ungläubigem Staunen blickten die Hausfrauen auf die neuen Preise, die ihnen die „Marktgesetze“ in den staatlichen Läden bescherten. Die bis auf die Straße reichenden Menschenknäuel vor den Läden waren verschwunden. Dafür gab es in den ausverkauften Geschäften auch zu den neuen Preisen nicht viel. Man warte auf Lieferung, doch wann die kommt und was dann zu haben ist, wisse man selbst noch nicht, meinte eine Verkäuferin.

So konnten sich die Kunden nur ein recht lückenhaftes Bild von dem machen, was auf sie zukommt. Außerdem waren die Preise in den einzelnen Läden völlig unterschiedlich - eine Folge der „Marktgesetze“, an die man sich nach der jahrzehntelangen zentralen Verteilung erst gewöhnen muß. Am größten war der Preissprung beim Fleisch und Milchprodukten. Ein Kilogramm Schweinekotelett kletterte - falls man es ergattern konnte - von etwa 1.000 Zloty auf 4.000 bis 6.000 Zloty (von 2,33 auf 9,30 bis 14 Mark).

Ein Liter Vollmilch sprang von 40 auf 150 Zloty (0,10 auf 0,35 Mark). Magermilch bleibt preisgebunden und ist daher erheblich billiger. Etwas geringer war die Steigerungsrate bei Getreideprodukten. So mußte man für einen Laib Brot (800 Gramm) statt bisher 120 (0,28 Mark) jetzt 200 bis 240 Zloty (etwa 0,50 Mark) zahlen. Der Durchschnittsverdienst liegt in Polen bei etwas über 100.000 Zloty (233 Mark), steigt jetzt aber durch die Teuerungszulagen und den Inflationsausgleich erheblich.

EG-Hilfe deckt nur ein

Zehntel des Bedarfs

Brüssel (dpa) - Die Industriestaaten der westlichen Welt können mit ihren Nahrungsmittelhilfen für Polen den tatsächlichen Bedarf des Landes wahrscheinlich nur zu einem kleinen Teil decken. Dies wurde am Dienstag auf einer Konferenz in Brüssel deutlich, bei der 24 Länder ihre Hilfen für Polen und Ungarn untereinander abgestimmt haben. Nach einem Schreiben des polnischen Staatspräsidenten Wojciech Jaruzelski an die EG-Kommission, der bei der Konferenz bekannt wurde, benötigt Polen in den nächsten zwei Jahren Lebensmittelhilfen aus dem Ausland im Wert von fast zwei Milliarden Mark.

Die von den EG-Staaten beschlossene Nahrungsmittelhilfe von 228 Millionen Mark deckt den Bedarf gerade zu einem Zehntel. Die USA, Österreich und die Schweiz kündigten bei dem Brüsseler Expertentreffen an, ebenfalls Lebensmittel nach Polen zu schicken, ohne daß jedoch Zahlen bekannt wurden.

An der Konferenz, die in der Geschichte ohne Beispiel ist, nahmen 19 westeuropäische Staaten, die USA, Kanada, Japan, Australien und Neuseeland teil. Das Ziel des Treffens war es, eine Bestandsaufnahme aller westlichen Hilfen für Polen und Ungarn zu erstellen und diese Hilfen zu koordinieren.

Kiszczak-Wahl verschoben

Warschau (ap) - Die für Dienstag vorgesehene Wahl des neuen polnischen Ministerpräsidenten ist verschoben worden. Wie nach einer Serie von Konsultationen im Parlament bekannt wurde, wird Staatspräsident general Wojciech Jaruzelski nunmehr frühestens am Mittwoch offiziell Innenminister Czeslaw Kiszczak dem Sejm zur Wahl vorschlagen.