Wie hoch, wie breit?

■ Jugendliche vermessen Berlin / Ihr Ziel: Ein neuer und brauchbarer Behindertenführer

Auf dem Deckblatt prangt die allseits bekannte Gedächtniskirche, unter knallblauem Himmel lehnt sich ein Taxifahrer lässig an sein Gefährt - der vom Senat erstellte Behindertenführer, 1987 das letzte Mal aktualisiert, erinnert eher an ein Informationsbuch für Touristen als an eine detaillierte Auflistung behindertengerechter Einrichtungen. Wer sich hier informieren will, erfährt zwar, daß das Cafe Möhring eine „interessante Atmosphäre“ vermittelt - der Absatz endet dann jedoch mit dem lapidaren Hinweis: „Am Eingang gibt es eine Stufe.“ Kein Wort, wie hoch, wie breit, wie tief - Informationen, die es einem Rollstuhlfahrer erst möglich machen, zu entscheiden, ob er die „interessante Atmosphäre“ genießen kann oder nicht. Arztpraxen sind gar nicht, kulturelle Angebote nur begrenzt aufgeführt.

Aus diesem Grund haben sich die „Ambulanten Dienste“, deren Arbeitsschwerpunkt in der ambulanten Betreuung von Schwerstbehinderten liegt, dazu entschlossen, einen eigenen Behindertenführer zu erstellen. Eine Gruppe von insgesamt 20 Jugendlichen vom Internationalen Jugendgemeinschaftsdienst (IJGD) zieht zur Zeit durch die Stadt, um Türen, Stufen und Toiletten zu vermessen. „Jeder Rollstuhlfahrer weiß, wie breit sein Rollstuhl ist - mit dem Wort „behindertengerecht“ kann er dann nicht viel anfangen, wohl aber mit den genauen Maßen der Einrichtungen“, erläutert Projektleiter Guy Besson, selbst Rollstuhlfahrer.

Doch den Jugendlichen vom IJGD wird ihr soziales Engagement nicht gerade leicht gemacht: In vielen Geschäften müssen sie Überzeugungsarbeit leisten, manche Geschäftsführer weigern sich schlichtweg, die Vermessung durchführen zu lassen. Ein weiteres Problem für das Projekt ist die Finanzierung: Zwar spendete der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPW) bereits 11.300 Mark, und das Netzwerk stellte einen Überbrückungskredit bereit, die Gesamtkosten werden jedoch trotz ehrenamtlicher Mitarbeit rund 150.000 Mark betragen. Der Senat versprach am 9.Juni einen Zuschuß von 11.450 Mark

-aber nur, wenn er bis zum 30.September alle ausgefüllten Erhebungsbögen samt uneingeschränkter Benutzungsrechte zur Verfügung gestellt bekommt.

Den Rest der Kosten wollen die „Ambulanten Dienste“ bei einer Stiftung beantragen. Stimmt diese zu, hofft Besson, „daß der Behindertenführer bis Anfang 1990 fertig ist“.

Martina Habersetzer