Denen ganz unten treu geblieben

Michael Harrison, US-amerikanischer Sozialist, starb 61jährig an Krebs  ■  N A C H R U F

Berlin (wps/taz) - Michael Harrison, der bissige und und unerschütterliche Vertreter US-amerikanischer sozialistischer Politik ist tot. Der 61jährige starb am Montag in Larchmont, im US-Bundesstaat New York, an Kehlkopfkrebs. Der Autor des Klassikers über die Armut in den USA - Das andere Amerika - hatte in der zweiten Hälfte seines Lebens an der Universität von New York Politikwissenschaften gelehrt und war von 1968 bis 1972 Vorsitzender der Sozialistischen Partei der USA. Noch im vergangenen Monat war der Gründer der Demokratischen Sozialisten Amerikas, deren Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender er seit 1982 war, von der Sozialististischen Internationale zu deren Ehrenvorsitzendem ernannt worden.

In der ersten Hälfte seines Lebens lernte der einzige Sohn wohlhabender irisch-katholischer Eltern Armut kennen - als Sozialarbeiter in St. Louis in den 50ern. Er trieb seine Eltern auf die Palme, denn die hatten ihn auf eine Jesuitenschule und später die Universität geschickt, damit er wie der Vater Jurist würde. Doch er blieb denen ganz unten treu, auch wenn er selbst nicht arm lebte und das auch immer für Quatsch hielt. „Ich bin nicht Gandhi, und ich bin kein Franziskaner. Selbst als ich bei den Katholiken arbeitete, haßte ich das beschissene Essen, die Wanzen, die Gerüche.“ In New York jedenfalls war er Redakteur beim 'Katholischen Arbeiter‘ und arbeitete in der Bowery. Kein Wunder, daß er zum Atheisten wurde.

Sein 1962 veröffentlichtes Buch Das andere Amerika beeindruckte den damaligen Präsidenten Kennedy so, daß er ein Programm zur Hilfe für die Armen initiierte. Lyndon B. Johnson führte den „Krieg gegen Armut“ 1964 weiter, nachdem Kennedy ermordet worden war. Harrison wurde bezahlter Berater in dem Ein-Milliarden-Dollar-Programm, das im Gefolge des Vietnamkrieges gestrichen wurde.

Selbst Harrisons Kritiker waren von ihm angetan. Immer hatte er sich einen besonderen Spaß daraus gemacht, deren Vorurteile zu sprengen. „Ich weiß genau, daß die meisten Leute, besonders die Medien, erwarten, ein Sozialist sei ein Irrer. Sie wollen einen richtigen Verrückten, einen Wilden, der aufsteht und schreit - 'Pfeif auf alles. Laßt uns erst mal einen durchziehn.'“ Der Journalist Alden Whitman erkannte Harrisons heutzutage seltene Qualität: „Im Gegensatz zu vielen Schwätzern machte das meiste, was Harrington sagte, Sinn.“ Und zum Schluß Harrison über Harrison: „Gebt mir eine Viertelstunde mit egal wem, und ich überzeuge jeden, daß ich ein Mensch mit beiden Füßen auf dem Boden bin, der kluge und praktikable Antworten auf viele Probleme unserer Gesellschaft hat.“

Andrea Seibel