Milch macht Dioxine munter

Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Verbraucherzentrale warnen vor dem Ultragift aus den Kartonverpackungen / Fett der Milch kann Dioxin und Furan aus der Verpackung lösen / Bundesgesundheitsamt und Verpackungsindustrie wiegeln ab  ■  Von Holger Bruns-Köster

„Die Milch macht's“, heißt es im Werbespruch der Molkereien. Fragt sich nur was? Munter, wie es im Schlager gesungen wird, oder krank, wie gestern der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aus Bonn vermeldete. Der BUND hält es nämlich für einen „unerträglichen Zustand, daß Kartonverpackungen die Trinkmilch mit Dioxin verunreinigen.

Daß sie dieses tun, ist unbestritten. Die Verpackungen bestehen aus gebleichtem Zellstoff, der mit dem Kunststoff Polyethylen beschichtet ist. Der Zellstoff wird mit Chlor gebleicht und dabei entstehen extrem giftige Dioxine und Furane, darunter auch das berüchtigte Seveso-Gift 2,3,7,8 -TCDD. Sinn der Bleich-Übung: Die Kartons sollen genauso hübsch weiß wie die Milch sein. Außerdem, so behauptet der Fachverband Kartonverpackung für flüssige Nahrungsmittel, ließen sich ungebleichte Kartons nicht so gut bedrucken.

Bis vor einem Jahr wurde behauptet, die innere Kunststoffbeschichtung halte die Dioxine zurück. Auf einem Fachseminar „Dioxin 88“ wies dann erstmals ein kanadischer Wissenschaftler nach, daß das Dioxin sehr wohl aus der Verpackung durch die Folie in die Milch eindringt. Anschließende Untersuchungen, die der Fachverband Kartonverpackung in Auftrag gab, belegten die Behauptung. Unbestritten ist inzwischen, daß sich je nach Dauer der Lagerung bis zu 20 Prozent der im Karton befindlichen Dioxinmenge im Fett der Milch löst.

Fachverband sagt Dioxin-Reduzierung zu

Das Dioxin lagert sich im menschlichen Fettgewebe ab. Das Bundesgesundheitsamt geht davon aus, daß rund ein Drittel der „normalen“ Tagesdosis an Dioxinen aus den Milchverpackungen stammt. Zu einer Warnung sieht das Amt allerdings keinen Anlaß. Statt dessen wurde vor Monatsfrist im Bundesgesundheitsblatt ein Artikel veröffentlicht, der schon in der Überschrift verharmlost: „Dioxin- und Furanbelastung aus Milchtüten künftig geringer“, hieß es da. Künftig geringer soll heißen: Der Fachverband für Verpackung hatte in Gesprächen mit dem Bundesgesundheitsamt eine Reduzierung der Dioxinanteile zugesagt. Künftig solle nur noch „gering belastetes Material“ zum Einsatz kommen. Ziel des Fachverbandes nach Auskunft seines Sprechers Michael Kleene: Der Dioxingehalt in der Verpackung soll von acht ppt auf vier ppt heruntergebracht werden. Langfristig solle dann ein Wert von ein ppt angestrebt werden.

Doch Grenzwerte, wieviel Dioxine der menschliche Körper überhaupt verträgt, gibt es nicht. Beim Bundesgesundheitsamt geht man von einem „acceptable daily intake , also einer zu tolerierenden täglichen Aufnahme von zehn bis zehn Picogramm je Kilogramm Körpergewicht aus. Mit diesem Wert ist die Bundesbehörde weltweit „absoluter Spitzenreiter“, wie Andreas Fußer vom BUND kritisiert. Die Vorschläge aus anderen Ländern beginnen bei 0,008 Pikogramm. Kein Wunder, daß das Bundesgesundheitsamt in dem Artikel zu dem Schluß kommt: Die aus den Milchtüten resultierende Dioxinbelastung liege „noch innerhalb der tolerierbaren Aufnahmemenge“.

Überhaupt nicht tolerierbar findet das dagegen der BUND. Vor dem Hintergrund, daß bereits die gesundheitsverträglichkeit des Stillens wegen hoher Dioxinwerte in der Muttermilch in Frage gestellt sei, müßten alle Dioxinquellen rigoros verstopft werden. BUND-Toxikologe Henning Frieges: „Es gibt keine andere große Dioxinquelle für die menschliche Nahrung, die so einfach zu verschließen wäre, wie die Milchkartons.“ Das meint auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die sich ebenfalls gestern zum Thema meldete. Die empfiehlt, statt der giftigen Kartons lieber zur Glasflasche zu greifen.

Wissenschaftliche Schützenhilfe bekommen die Verpackungskritiker von der hessischen Landesanstalt für Umwelt. In einer Studie zur Dioxinbelastung schreibt die Anstalt: „Die Feststellung, daß die Normalbevölkerung in Europa bereits mit drei Nanogramm je Kilo im Fettgewebe belastet ist, zeigt, daß bereits jetzt nur noch zwei Zehnerpotenzen die Normalbevölkerung von der Konzentration trennt, die in der Ratte nachweisbar zum Krebstod führt. Wird weiter berücksichtigt, daß Säuglinge mit der Muttermilch die 500fache der hier als vorübergehend hinnehmbaren Dosis erhalten, so ist ein weiteres Schweigen der Behörden völlig unakzeptabel.„