„Mein Gott, wer redet alles miteinander?“

Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel mühte sich gestern, das rot-grüne Sommertheater in seiner Partei zu erklären / Für ihn sind alle Optionen weiterhin offen / Wo der Autoritätsverlust nagt, werden die Scherze verkrampft  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Punkt 10 Uhr 30 ist der große Saal der Bundespressekonferenz bis fast auf den letzten Stuhl besetzt. Wer im Bonner Regierungsviertel einen Griffel halten kann und nicht gerade in Urlaub weilt, ist gekommen, ein Spektakel zu genießen: Vogel. Der Vorsitzende seiner Partei und doch nur ein Nebenschauspieler in dem Stück, das seit Wochen auf dem Bonner Sommertheater aufgeführt wird: die Kapriolen der SPD. Das unselige Strategie-Papier zu den „Republikanern“, die aus dem Ruder gelaufene Veröffentlichungspraxis der „F 90„ -Kommission, der Zick-Zack-Kurs um die rot-grünen Gespräche, und nun haben auch noch Vorstandsmitglieder die Schweigepflicht über die Frage des Kanzlerkandidaten gebrochen.

Das Publikum ist zusammengeströmt, weil der Nebenschauspieler in die Rolle des Regisseurs geschlüpft ist und erklären will, wie das Stück zu interpretieren sei. „Perspektiven für 1990“ steht auf dem Aushang im Pressehaus.

Vogel gibt sich aufgeräumt: Unsinnig sei die Vermutung, er hätte diese Pressekonferenz überstürzt angesetzt. Seit Wochen stehe der Termin fest, er gehe schließlich heute in Urlaub, nur vorher noch schnell zum Friseur. Vogel weiß so gut wie jeder andere in diesem Saal: Normalerweise hätten sich nur die Pflicht-Schreiber der Agenturen zu diesem Termin gequält. Nun weht ihn aus den gefüllten Stuhlreihen ein geradezu bösartiges Interesse an: wie sich dieser Mann windet, der seine Partei doch so gerne wie in Klarsichthüllen abgeheftet präsentieren möchte. Denn aufklären kann er das alles ja nicht: Welche Intrigen gegen Lafontaine eine Rolle spielen, wenn aus der F-90-Kommission Papiere bekannt werden, während ihr Vorsitzender Oskar in Urlaub weilt. Oder daß es zwangsläufig zu Mißhelligkeiten kommen muß, wenn die Partei bis zur Bundeswahl keine Koalitionsdiskussion führen darf, aber doch ausloten muß, was mit den Grünen geht.

Eine sechsseitige Erklärung, die Vogel vorträgt, klärt nichts für diejenigen, die ihm wohlgesonnen sind. Aber sie enthält eine Passage, die vor allem konservativen Kommentatoren nun als Festlegung auf Rot-Grün gelten wird: Die Grünen seien heute „weithin als Bestandteil des politischen Gesamtspektrums anerkannt“, heißt es da, und wenig später: Die politische Entwicklung werde „potentielle Mehrheiten zu aktuellen Mehrheiten werden lassen“, und „die deutsche Sozialdemokratie wird dieser Mehrheit Orientierung und politische Struktur geben“. Um Aufklärung gebeten, klammert sich Vogel sogleich wieder an einen Standardsatz: Alle Optionen seien offen, „und ich werde einen Teufel tun, sie zu reihen, zu bewerten oder in Katalogform zu bringen“. Er frühstücke schließlich auch mit Genscher, mit Schily, habe mit Schäuble gegessen, „mein Gott, wer redet alles miteinander“.

Mein Gott - immer wieder beginnt Vogel seine Sätze mit dieser wegwerfenden Gebärde, als könne er damit das hämische Grinsen aus manchen Gesichtern wischen. Dabei weiß er, der strenge Vorsitzende, anscheinend immer noch nicht so recht, was seine Parteifreunde bewog, am 17. Juni mit den Links -Grünen und am 21. Juni mit den Realo-Grünen eine Serie weiterer Besprechungen zu verabreden. „Haben Sie Verständnis dafür, daß ich mit den Leuten erst mal reden muß.“

Weil er spürt, wie sehr das an seiner Autorität nagt, geraten ihm die Scherze so beklemmend verkrampft. „Wie heißt noch der Ort?“ fragt er, als sei ihm das Reizwort Schloß Crottdorf entfallen. Wo doch Journalisten die rot-grüne Begegnung in diesem Wasserschloß bereits per Begriff zur Institution erhoben haben: der „Crottdorfer Kreis“.

„Selbstdisziplin wahren“, das ist der Kernsatz aus Vogels Erklärung an die Adresse der Partei. Und wenigstens er hält sich daran. Auf zwei langen Zeitungsseiten der 'Welt‘ hat Peter Glotz mit einem „Streitgespräch“ Franz Schönhuber aufgewertet. Vogel konnte es eben erst lesen, und er quält sich, Kritik nur anzudeuten: Daß „man damit dem Gesprächspartner eine Darstellungsmöglichkeit gibt, die er sonst nicht hat“. Ob das schädlich sei, will er nicht bewerten: „Interessant“ sei das Gespräch. Und darum sind zu dieser Pressekonferenz eben auch so viele gekommen: „Weil wir interessant sind.“