Lieber Redaktör!

 ■ B R I E F E A N D I E R E D A K T I O N

Vielleicht haben Sie sich immer schon gefragt, was man in Berlin eigentlich so macht. Nun, dies ist mein Tag: Ich stehe auf, gehe aufs Klo und ziehe mir meine Kleider vom Vortag an. Dann stecke ich den Schlüssel in die Hosentasche, steige im Treppenhaus vier Stockwerke hinab, schwinge mich im Hof aufs Rad und muß an der abgeschlossenen Haustür wieder absteigen. Dann fahre ich ins „Gelb“ und bestellte Cappuccino, obwohl der im „V.“ viel mehr nach Italien schmeckt. Der Barmann schenkt mir dazu ein altes Gummicroissant, das ich in den Kaffee tunke, während ich mir die Leute angucke und hoffe, daß der Typ die taz bald ausgelesen hat. Als er fertig ist, komme ich den anderen zuvor und lese zuerst, was in Berlin wieder alles nicht passiert ist. Inzwischen ist mein Cappuccino alle, und ich bestelle den nächsten, weil ich Lust habe. Nach der taz lese ich in einem Buch und wundere mich zwischendurch, daß es immer noch so früh ist. Schließlich werde ich unruhig und fahre wieder nach Hause, denn mir fällt im Moment nix Besseres ein. Dort renne ich die vier Treppen hoch und lande in der Küche beim schmutzigen Geschirr. Da ich gerade in Bewegung bin, spüle ich gleich und mache nebenher Kaffee. Ich decke den Tisch und toaste altes Vollkornbrot, aber das schmeckt immer noch. Von dem Lärm in der Küche erwacht mein Mitbewohner und setzt sich zu mir. Wir frühstücken und reden über die „Gero-von-Storch-Show“, „Monty Python“ und Sachen, die lustig sind. Danach macht er das Katzenklo sauber, und ich lege mich auf mein Bett, um mir Strategien für den Tag zu überlegen. Irgendwann geht es mir schlecht, weil ich glaube, ich hänge nur rum und kriege den Arsch nicht hoch. Ich finde dann das Leben dumpf und sinnlos. Ich stehe auf und gehe wieder aus dem Haus. Treppenhaus, Hof, Fahrrad, Haustür, das übliche. Diesmal gehe ich nicht ins Cafe, sondern fahre zum Radladen und repariere mein Fahrrad. Währenddessen beginnt es zu regnen, und ich gucke nach oben in den Himmel. Als die Sonne wieder scheint und nur noch die Bäume tropfen, ist schon wieder eine Menge Zeit vergangen. Ich bin unterwegs zum Bahnhof Zoo - mit dem Fahrrad, wohlgemerkt. Am „Türkischen Basar“ halte ich kurz an und kaufe einen komisch aussehenden Spinatbörek. Ich esse im Stehen unter der ehemaligen Hochbahn und stelle mir Berlin um 1930 vor. Das ist an diesem Ort nicht schwer, wenn man nicht gerade auf das Sex-Kaufhaus guckt. Nach dem Essen bekomme ich Durst und trinke Cola. Ich fahre dann weiter zum Bahnhof Zoo quer durch die Touristen vor dem Europacenter, schließe mein Rad ab und gehe in die Bahnhofshalle. Dort ist viel los. Ich stelle mich in die ewig lange Schlange vor dem Fahrkartenschalter, und als ich endlich dran bin, kaufe ich eine Fahrkarte nach Malmö in Schweden. Anschließend gehe ich zum Schalter für die Reservierungen und lassen mir nach ewig langem Warten einen Platz im Zug reservieren. Im Bahnhof selbst sind enorm viele Menschen aus allen Ländern, das gefällt mir. Nachdem ich mein Fahrrad am Gepäckschalter aufgegeben habe, gehe ich hinunter zur U-Bahn und passe auf, daß keine Kontrollettis da sind. Ich steige ganz vorne in die U-Bahn und fahre wieder nach Hause. In der U-Bahn sitzen Leute und lesen in Büchern. Wenn der Zug dann aus der Erde kommt und zur Hochbahn wird, schaue ich aus dem Fenster, weil man da viel von der Stadt sehen kann. Jetzt ist es schon wieder Abend, und mir geht es gut, weil es Abend ist. Langsam wird es dunkel. Ich habe Hunger und esse was. Das machen alle so in Berlin.

Marc Scritti