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Anstrengender Initiationsritus

■ „Verführt!“ - Alina Reyes‘ erotische Hausaufgaben: Resultat unbefriedigend

Wozu gibt es erotische Literatur? Gar keine Frage - sie soll anmachen. Der Genuß stellt sich ein, wenn neben den kleinen grauen Zellen auch unsere schönen erogenen Zonen zum vibrieren gebracht werden. Zwischen den Beinen muß es kribbeln, wenn man so ein Buch auf einer einsamen Zugfahrt zur Hand nimmt oder spätnachts im Bett (es soll allerdings auch Menschen geben, die so etwas im übervollen Schwimmbad lesen). Das Vorspiel ist dabei so wichtig wie der ekstatische Höhepunkt. Das unterscheidet diese Literaturgattung von den einschlägigen Magazinen, die auf den ersten Blick, plump und vordergründig freigeben, worauf es augenscheinlich ankommt. Die Kunst dagegen liegt darin, die schmutzigen Gedanken mit Raffinesse zu präsentieren.

Alina Reyes Erzählung beginnt vielversprechend: „Sanft drang die Klinge in den Muskel ein, durchwanderte ihn dann geschmeidig vom einen Ende zum andern. Die Bewegung war vollendet ausgeführt. Mit weichem Schwung fiel die Scheibe auf den Schlachtblock. Das dunkle Fleisch schimmerte, wiederbelebt durch die Berührung des Messers. Der Fleischer legte seine linke Hand auf das große Rippenstück und schnitt mit der rechten erneut in die Fülle hinein. In meinem Handinneren spürte ich die kalte, pralle Fleischmasse. Ich sah das Messer in das tote Fleisch hineistoßen und es wie eine klaffende Wunde öffnen“.

Die ersten Sätzen umreißen schon die ganze Geschichte. Eine junge Kassiererin schaut fasziniert und angewidert zugleich dem Treiben des Fleischers zu. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Fleisch. Während er die toten Stücke auf dem Hackklotz bearbeitet, berieselt er die verführerisch lebendige Masse hinter der Registrierkasse mit Obszönitäten. Die kleine Kassiererin, bedrängt von seinen verbalen Ergüssen, spürt ein immer stärkeres körperliches Verlangen. Es kommt wie es kommen muß. In einer schwülen Regennacht gibt sie dem Drängen nach. Unter der Brause.

Genau an dieser Stelle bricht die Geschichte auseinander. Aus dem abstoßend lüsternen Fleischer wird plötzlich ein umsichtiger zärtlicher Mann, der sich erstmal duschen geht, bevor er's mit der Heißbegehrten treibt. Im cleanen Badezimmer schwillen unter Anwendung von Seife seine Säcke an, reckt sich der Schwanz in die Höhe, während ihr durchnäßtes Kleid an ihr klebt „wie ein seidiger Handschuh“. Das ist nicht sonderlich originell, aber immerhin beherrscht Alina Reyes das Vokabular.

Ihre erotische Kurzgeschichte wäre bis dahin ganz ordentlich, hätte die Autorin nicht noch die pupertäre Phantasie der Kassiererin als weitere Ebene eingeflochten. Der lineare Erzählstrang wird immer wieder durch Rückblenden unterbrochen, in denen sich die Ich-Erzählerin ihrer romantischen ersten Liebe erinnert. Indem sie den Akt mit dem Fleischer vollzieht, will sie sich selbst bestrafen, ihre reine Liebe mutwillig mit Schmutz besudeln und damit vom Kindsein in die perverse Erwachsenenwelt überwechseln. An diesen Stellen wird die Erzählung für die erotisierte Leserin so unzumutbar wie die schmachtenden Tagebuchaufzeichnungen eines 14jährigen Backfischs.

Am Ende erwacht die erschöpfte Kassiererin in einem schmutzigen Staßengraben und kriecht langsam dem Licht sprich Leben entgegen - das Initiationsritual ist vollzogen. Mit derart übertriebener Symbolik entläßt uns Alina Reyes aus ihrem knapp 60-Seiten-Werk. Der verführerische Anfang ist vertan.

Ute Thon

Alina Reyes: Verführt!, aus dem Französischen übersetzt von Sigrid Brinkmann und Marlies Micha, Rowohlt Taschenbuch Verlag 1989, 59 Seiten, 6,80 DM

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