Gefangenschaft

■ Theroigne de Mericourts Autobiographie erstmalig in deutscher Übersetzung

Zu Beginn des Jahres 1791. In der Nähe von Lüttich wird eine Frau von Häschern ausfindig gemacht, entführt und unter falschem Namen in der Festung Kufstein (Österreich) eingesperrt. Motiv dieses Willküraktes: Verdacht auf Hochverrat und Beteiligung an den Attentatsplänen gegen Marie-Antoinette. Ein Untersuchungsverfahren wird eingeleitet, obwohl von Anfang an klar ist, die Angeklagte keiner Straftaten überführen zu können. Doch mit diesem Komplott - inszeniert von Vertretern der Aristokratie, den bourbonischen Prinzen und der österreichischen Regierung verfolgt man ein ganz bestimmtes Ziel, „alles dasjenige zu erfahren, was für den französischen oder für unseren (österreichischen) Hof von einiger Wichtigkeit ist“. Für die Initiatoren des Kidnappings Grund genug, die Gefangene zu nötigen - unter Androhung weiterer Strafen -, alles das zu schildern, was die revolutionären Bestrebungen und Vorkommnisse in Frankreich und Belgien betrifft.

Aufschlußreiche Informationen versprach sich der Untersuchungsrichter, hatte man doch einen guten Fang gemacht, eine Frau inhaftiert, die die aristokratische Presse bereits zur „Muse der Demokratie“ und zur Rädelsführerin revolutionärer Verschwörungen ernannt hattte: Theroigne de Mericourt, 1762 in der Nähe von Lüttich geboren.

Theroigne, die keinen offenen Widerstand in diesem Verfahren leistete, war listig genug, sich den Verhören und Pressuren so weit irgend möglich zu entziehen; bat sie doch nach der ersten Befragung um Bleistift und Papier, um ihren Lebensweg, ihre Lebensumstände schriftlich zu schildern.

Aufzeichnen aus der Gefangenschaft, diese autobiographischen Zeugnisse Theroigne de Mericourts, liegen jetzt erstmals in deutscher Übersetzung von Helga Grubitzsch und Roswitha Bockholt vor.

Unter dem Druck der Befragung mußte Theroigne, man denke an ihre „Rechtfertigungsabsicht“, möglichst glaubwürdig und überzeugend sein, wollte sie sich selbst vor Gericht entlasten, aber „ohne andere Personen in das Verfahren hineinzuziehen“.

Diese Loyalität gegenüber ihren GenossInnen und die unverhohlene „Begeisterung“ für die Revolution, ohne sich im Untersuchungsprozeß von ihrer Gesinnung zu distanzieren, lassen Theroigne de Mericourt auch heute couragiert erscheinen. Als LeserInnen bekommen wir Einblick in das Leben einer engagierten Frau, die sowohl die Forderungen nach den allgemeinen Menschenrechten vortrug als auch die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts kritisch wahrnahm.

Über ihre Arbeit im „Club der Menschenrechte“ schrieb sie: „Wir waren überzeugt, daß eine individuelle oder öffentliche Ungerechtigkeit die Sache aller ist. Nur unehrliche Leute behaupten, daß es sie nichts angehe, wenn einem ihrer Mitmenschen etwas Unangenehmes zustößt. Und außerdem verteidigt man seine eigenen Rechte, wenn man die seiner Mitbürger verteidigt. Im Sinne dieser Prinzipien wollten wir zu Brüderlichkeit, Sittenhaftigkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit und allen Tugenden ermahnen. Wir wollten die Unschuldigen, Schwachen und Unterdrückten verteidigen. (...) Ich wollte, daß das Volk Vertreter hat und daß die Mißstände verbessert werden sollten. Dies war meine private Meinung, und es ist erlaubt, eine solche zu haben.“

Nach neunmonatiger Haft kam sie auf freien Fuß und kehrte in ihre Heimat, nach Belgien, zurück. Ihr weiterer Lebensgang entbehrt keiner Dramatik: Erneut stilisiert zur „Märtyrerin der Freiheit“ und Heldin der Revolution, wurde Theroigne dank ihrer Resistenz in Kufstein im Pariser Jakobinerclub gefeiert. 1792 setzte sie sich für Bildung eines „Volksklubs bewaffneter Frauen“ ein, was ihr aber bald das Schmähwort „Flintenweib“ sowie eine Anzeige wegen „Unruhestiftung“ einbrachte.

Als sie sich außerdem weiter für die Verbesserung der Frauenrechte starkmachte, aber nicht die Solidarität in den eigenen Reihen erfuhr, wurde es für die Obrigkeit ein leichtes, sie als politisch „verdächtig“ abermals zu verhaften.

Sie endete, wie so manche unbequeme und unangepaßte Frau, „stillgesetzt“, als unzurechnungsfähig erklärt und entmündigt, in einer Anstalt. 1817 verstarb Theroigne de Mericourt in der Salpetriere.

Uta Fleischmann

Theroigne de Mericourt, Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Helga Grubitzsch und Roswitha Bockholt; Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1989, DM 16,