Vorolympischer Boom in Barcelona

Zur Vorbereitung für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona wird die Altstadt aufgepeppt / Die Bewohner fürchten Opfer der Modernisierungen zu werden  ■  Aus Barcelona Antje Bauer

Antoni Llagostera ist ein Yuppy. Anfang 30 mag er sein, ist umgänglich und überarbeitet. Sein Arbeitsplatz, das Institut für Stadtplanung, liegt in einem großzügig angelegten alten Haus an einer breiten Barceloneser Straße. Drinnen wird gerade modernisiert, das Alte weggebrochen und modernes Design ersetzt. Llagostera ist Pressechef bei einem Unternehmen, das Barcelona ähnlich transformieren soll wie die Umbauten das Institut für Stadtplanung. Die Behörde ist das offizielle Planungsbüro für die Olympischen Spiele. Llagostera hat es nicht leicht: Die Presse schürt die öffentliche Panik, die Arbeiten könnten nicht rechtzeitig beendet werden. Mal wird berichtet, die Kosten, die die Olympischen Spiele mit sich bringen, seien inzwischen um die Hälfte höher als berechnet. Dann heißt es, die Differenzen zwischen dem sozialistischen Bürgermeister der Stadt, Pasqual Maragall, und dem konservativ-nationalistischen Landesfürsten Kataloniens, Jordi Pujol, blockierten die Arbeiten.

Doch Llagostera hat die Ruhe weg. Sie bräuchten jeden einzelnen Tag bis zum Beginn der Olympiade, erklärt er, aber verspätet seien sie nicht. Auch die Erhöhung der Kosten liege mit 30 Prozent im Rahmen des Üblichen. Auf 430.000 Millionen Peseten (umgerechnet 7.000 Mio. Mark) werden die Kosten der Olympia-Vorbereitungen geschätzt. Sie beinhalten den Bau der Stadien und der dazugehörigen Anlagen, den Bau des Olympischen Dorfes sowie den Aus- und Neubau verschiedener Schnellstraßen. Vor allem wurde damit etwas finanziert, was Llagostera die „größte urbanistische Operation“ nennt, seit in Barcelona vor 150 Jahren die Stadtmauern abgerissen wurden: die Neugestaltung der Uferstraße.

Barcelona zeigt dem Meer die kalte Schulter

Zwischen Barcelona und dem Meer lag die Stadtmauer. Im vergangenen Jahrhundert siedelten sich jenseits der Stadtmauer, am Meeresrand, eine Reihe kleiner Fabriken an, eine Eisenbahnlinie folgte, die parallel zum Meer lief und über Kilometer keinen Übergang besaß. Viele Barceloneser lebten und starben in ihrer Stadt, ohne auch nur einmal das Meer gesehen zu haben. Im Rahmen der Olympischen Spiele wird mit dieser jüngeren Geschichte nun gebrochen. Das Olympische Dorf entsteht just dort, wo bislang noch immer einige kleinere Fabriken ihr Dasein fristen. Und um den Olympioniken einen ungehinderten Zugang zu ihrem Dorf am Meer zu gewährleisten, wurde die Eisenbahnlinie im Mai dieses Jahres umgeleitet und die Schienen, die am Meer entlangführen, abgerissen. „Es wäre wesentlich einfacher gewesen“, so Llagostera, „das Olympische Dorf irgendwo außerhalb der Stadt zu bauen. Aber wir haben den Vorwand genutzt, um die Stadtplanung fortzuführen, die nach dem Ende der Diktatur von dem Architekten Oriol Bohigas entworfen wurde. Und die beinhaltete vor allem die Öffnung Barcelonas zum Meer.“ Anstelle der Schienen sind breite Straßen und Uferpromenaden getreten, an denen sich die Barceloneser Bürger des Abends ergehen. Die Fabriken in Poble Nou, dem künftigen Olympiadorf, mußten ausziehen, und die Gemeinde macht schon jetzt Reklame mit der „guten Wohngegend“, die das Olympiadorf nach den Spielen darstellen wird.

Verfall der Altstadt

Was Llagostera preist, die Transformation der Stadt, macht anderen Angst. Den Einwohnern der Altstadt zum Beispiel, deren Viertel sich das künftige Olympiadorf anschließt. An den mehrstöckigen grauen Häusern und engen Gassen nagt seit 300 Jahren der Zahn der Zeit. Überall bröckelt der Putz, die Häuser bekommen Risse. In den vergangenen zwei Jahren sind fünf Gebäude eingestürzt. Die Eigentümer haben es vorgezogen, nicht ihrer Pflicht zur Instandhaltung der Gebäude nachzukommen. Die Folgen blieben nicht aus: In den letzten zwölf Jahren sind aus diesem traditionellen Arbeiterviertel 20.000 Bewohner weggezogen. Auch die Bevölkerungsstruktur änderte sich: Anstelle der Arbeiter kamen die Schwächsten, die Arbeitslosen und die Ausländer. Drogensüchtige und Prostituierte beleben heute die Straßen, während das Durchschnittsalter der Bewohner rapide ansteigt. In der Altstadt gibt es viermal soviel Tuberkulosekranke, fast viermal soviel Aids-Kranke und mehr als doppelt soviel Menschen mit Gelbsucht wie im Durchschnitt von Barcelona. Die Lebenserwartung liegt hier mit 70 Jahren sechs Jahre unter dem der Stadt.

„Jahrelang hat es hier weder öffentliche, noch private Investitionen gegeben“, erläutert Juli Carbo, Vizepräsident der Bürgerinitiative der Altstadt. „Erst durch die Planung der Olmypiade gab es einen Aufschwung. Denn das Viertel grenzt direkt an das künftige Olympiaviertel und liegt direkt im Zentrum der Stadt. Die Gemeinde will nun Privatunternehmen dazu verlocken, hier zu investieren. Dagegen haben wir auch gar nichts. Was uns stört, ist die Art, wie das geschieht. Sie wollen ein traditionelles Arbeiterviertel in ein Wohnviertel für die obere Mittelschicht verwandeln.“ Die Yuppies wollen sie anziehen. Zum einen bauen sie keine Sozialwohnungen. Zum anderen kaufen sie ganze Häuser und üben auf unterschiedliche Weise Druck auf die Mieter aus, damit sie ausziehen.

Als Beispiel dafür führt Carbo ein Haus an, in dem eine Pension untergebracht war. Sie wurde von der Gemeinde geschlossen, da sie mehr Gäste aufnahm als erlaubt. Danach kaufte die Gemeinde das Haus auf. Durch „irgendeinen merkwürdigen Zufall“, so Juli Carbo, drangen Diebe in das leerstehende Gebäude ein und stahlen die bleiernen Wasserrohre. Die drauffolgende Überschwemmung durchdrang eine der tragenden Wände des Hauses, das ganze Gebäude geriet in Bewegung. Die Gemeinde stützte das Haus auf originelle Weise ab: Zwischen dem Gebäude und den Nachbarhäusern errichtete sie ein chaotisches Geflecht aus hölzernen Balken. „Wenn das Haus einstürzt, dann brechen diese Balken wie Strohhalme“, meint Carbo. „Diese Aussichten macht den Nachbarn Angst. Wenn nun ein Angestellter der Stadtverwaltung kommt und den Mietern 500.000 Peseten (7.500 Mark) Abfindung für ihre Wohnung bietet, ziehen sie weg.“

Daß die Stadtverwaltung versucht, die Mieter aus dem Viertel zu vertreiben, bestreitet Antoni Llagostera. Sie habe ganz im Gegenteil einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, daß einzelne Gebäude abgerissen und ihre Bewohner in modernisierten oder neu gebauten Häusern im selben Viertel untergebracht wurden. Doch aufgrund des mangelnden Bodens sei dieser Plan nur sehr langsam zu verwirklichen. „Doch in der Zwischenzeit verlieren die Mieter die Geduld“, kommentiert Carbo, „und ziehen in die Außenbezirke.“ Für die Zukunft des Viertels sieht Carbo schwarz. Seit Jahren hat hier eine ungeheuere Grundstücksspekulation eingesetzt, und wenn erst mal die Yuppies in das Olympiadorf einzögen, dann werden sie auch bald in die Altstadt drängen, davon ist er überzeugt.

„Barca no al 92“

Unterstützung erhält die Bürgerinitiative von einer kleinen Gruppe, um die sich keiner schert: Es ist die „Bewegung Nein zu '92“, ein Häuflein Linker und Autonomer, die sich gegen das „Modell einer Stadt im Konsens“, so ein Flugblatt der Gruppe, wendet. Das Mammutprojekt Olympische Spiele, so Santiago Lopez, ein Mitglied der Bewegung, sei eine Vorbereitung der Stadt, um internationales Kapital anzuziehen. In Barcelona, das bis vor kurzem mit der Titanic verglichen worden sei, da es im Vergleich zu Madrid zunehmend an Attraktivität eingebüßt habe, werde nun die Hoffnung auf neuen Ruhm geschürt. Typisch dafür sei die Verkleidung, die die Kaufhauskette „El Corte Ingles“ dem Triumphbogen gedeihen ließ, der gerade restauriert wird. „Der Triumph gehört allen“, steht auf der Pappfassade des Bogens zu lesen.

Allen? Der resoluten kleinen Frau in der ärmlichen Kneipe an der Ecke wohl nicht. Sie schimpft wie ein Rohrspatz. „Du wirst sehen“, sagt sie und wedelt mit der Hand die Fliegen fort, „in den nächsten Jahren werden die Kontrolleure immer mehr. Wenn sie erst verhindern, daß einer 15.000 Peseten Einnahmen mal nicht angibt, dann kann unsereins gleich zumachen. Die da oben verdienen immer mehr. Unsereins hat das Nachsehen.“