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Das grüne Meer der Zuckerbarone

Die Pazifik-Insel Mauritius hat sich mit Monokulturen zum afrikanischen Musterländle gemausert / Exportindustrie und First-Class-Touristen sollen Devisen bringen / Der Handel mit Südafrika blüht / Vielfach werden nur Produkte des Apartheidstaates umetikettiert / Regierung will kein „Ausbeutungssystem“  ■  Aus Port Louis Chr. Wichterich

Man nehme eine unbewohnte Insel mit reichen Regenfällen und vulkanischen Böden, hacke die Edelholzwälder ab, rotte überflüssiges Getier wie den sagenumwobenen flugunfähigen Vogel Dodo aus, pflanze probeweise verschiedene Nutzpflanzen und lege Plantagen mit der Pflanze an, die am besten gedeiht. Die notwendigen Arbeitskräfte importiere man als Sklaven aus Kolonien, die man bereits sein eigen nennt.

Phase zwei: Die Monokultur zwingt zum Import von allem Lebensnotwendigen. Mehr Devisen müssen erwirtschaftet werden. Man nehme die Insel, reserviere die schönsten Sandbuchten für den Bau von Hotelanlagen und verkaufe die Insel fortan als Ferienparadies.

Phase drei: Das Tourismusgeschäft bringt zwar Geld, aber es schafft nicht genug Arbeitsplätze und erfordert immer mehr Importe. Mehr Devisen müssen her, um die Außenhandelsbilanz ins Lot zu bringen. Man nehme die Insel, erkläre sie zur Exportproduktionszone, lade ausländische Investoren ein, die sich auf ihrer nimmersatten Suche nach billigen Arbeitskräften bald einfinden und die Erwerbslosen im Handumdrehen absorbieren.

Die Insel heißt Mauritius. Die Geschichte begann im 16.Jahrhundert mit den holländischen Kolonisatoren, die massiv die Urwälder abholzten. Ihnen folgten die Franzosen, die Zuckerrohrplantagen anlegten, Sklaven aus Westafrika und Madagaskar einführten, und dann kamen die Briten, die Mitte letzten Jahrhunderts Vertragsarbeiter aus Indien einschifften. Resultat ist nicht nur eine multiethnische Gesellschaft aus Indern, Kreolen, Frankomauritiern und einer chinesischen Minderheit, sondern auch ein Lehrstück abhängiger Entwicklung, die - auf den ersten Blick - die 1.865 Quadratkilometer kleine Insel im indischen Ozean in ein kleines Wirtschaftswunder befördert hat. Im Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern, und erst recht mit der Nachbarinsel Madagaskar, sind das Bruttosozialprodukt von 1.500 US-Dollar pro Kopf und der Lebensstandard relativ hoch.

Zuckerrohr, soweit

das Auge reicht

Doch fangen wir mit dem süßen Saft an, der seit Jahrhunderten die Nabelschnur der Insel ist. 92 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche steht unter Zuckerrohr, hügelauf, hügelab, die Berghänge hoch, und selbst auf dem zwei Meter breiten Streifen zwischen Küstenstraße und Sandstrand zieht sich der Zuckerrohrteppich lang, schnurgerade durchschnitten von Asphaltstraßen, künstlich beregnet aus Kanonenrohren. Die Chemikalisierung des Anbaus ist weltmeisterhaft: Der Gebrauch unorganischer Düngemittel liegt mit 600 Kilogramm pro Hektar dreimal über dem in Europa. Der Pestizideinsatz ist mit durchschnittlich 44 Kilogramm pro Hektar der größte auf der Welt, fünfmal so hoch wie in Japan. Das grüne Meer gehört zur Hälfte 19 Zuckerbaronen, die andere Hälfte teilen sich 34.000 kleine Pflanzer. Die Mechanisierung arbeitet wie überall zugunsten der Großgrundbesitzer: Die Kleinbauern können nicht mithalten.

19 Raffinerien verarbeiteten im vergangenen Jahr 650.000 Tonnen des süßen Safts zu exportfähigem Rohrzucker, 250 waren es 1850 gewesen, 85 um die Jahrhundertwende. Die EG garantiert - in einem Zusatzprotokoll zum Lome-Abkommen eine jährliche Abnahme von über 500.000 Tonnen zu festen Preisen.

Die wenigen Flecken Gemüsegarten oder Brachland fallen einem bei der Fahrt über die Insel als anarchische Schandflecke in der gigantischen geometrischen Ordnung der über zwei Meter hohen Zuckerstangen ins Auge.

Die Nahrungsmittelproduktion ist in den letzten Jahren gesunken, Getreide für die gleichermaßen beliebten Baguettes und Roti (indisches Brot) sowie Reis werden ebenso importiert wie Obst und Gemüse. Am Morgen ist eine Schiffsladung - offenbar aus China - in der Hauptstadt Port Louis gelöscht worden. Im Marktviertel schleppen Hunderte von Kulis Reissäcke zu den indischen und chinesischen Händlern. Der alte überdachte Markt quillt über von Birnen, Äpfeln und Orangen - allesamt aus Südafrika.

Die totale Abhängigkeit von außen und der Mangel an Selbstversorgung alarmieren auch die Regierung und ausländische „Berater“ wie die EG: Diversifizierung der Landwirtschaft ist seit ein paar Jahren die Devise. Auf einigen Feldern wird ein Mischanbau von Zucker und Erdnüssen erprobt. Die Bevölkerung ist aufgerufen, doch bitteschön ihre Eßgewohnheiten zu ändern und von Reis und Weizen als Grundnahrungsmittel auf Kartoffeln umzusteigen, denn Getreideanbau ist wegen der Zyklone, die häufig über die Insel rasen, zu risikoreich. Kartoffeln gedeihen dagegen gut. Exportgarantien und die Biegsamkeit des Zuckerrohrs bleiben seine Trümpfe: es legt sich flach bei den Wirbelstürmen und steht alsdann wieder auf.

Igittigitt, nur keine Rucksacktouristen

„Keine Charterflüge. Kein Massentourismus. Keine soziale oder Umweltverschmutzung“, rühmt sich Mauritius in seiner Tourismuswerbung. Von Anfang an hat die Insel auf Luxusklasse gesetzt, die Hotelpreise sind gepfeffert, bis zu 1.000 Mark pro Nacht, wenn's denn beliebt, die Bilderbuchstrände läßt man sich teuer bezahlen. Die Insel verkauft sich als Fly- und Drive-in-Paradies mit vorzüglicher Infrastruktur und asphaltierten Straßen nicht nur durch die Plantagen, sondern sogar durch den botanischen Garten. Zum Wohlgefallen des Touristenauges sind denn auch Blumenrabatten entlang der Zuckerrohrfelder und selbst fein säuberlich um den Trou-aux-cerf-Krater, einem Aussichtspunkt, gepflanzt: manikürte Natur.

245.000 Touristen flogen im vergangenen Jahr ein. Das größte Kontingent stellen Franzosen und Südafrikaner, die ihre Finger und Rand (südafrikanische Währung) auch in der Hotelindustrie haben. Auf ihren Geschmack sind wohl die „Bimbo-T-Shirts“ zugeschnitten, die überall angeboten werden: Schwarze mit dickwulstigen Lippen, Knochen im Wuschelhaar, tanzen und trommeln wie wild im Baströckchen. Der Rassismus ist latent, aber durchaus lebendig auf der Trauminsel, die sich „kosmopolitisch“ nennt und ihre multikulturelle Harmonie preist; die Schwarzen sind die Underdogs - nicht nur auf den T-Shirts.

Während Tourismusminister Michael Glover noch verkündet, daß keine Bucht durch klotzige Hotelbunker verbaut werden soll, wird in Grand Bay im Norden der Insel gerade ein Betonmonstrum mit 300 Betten hochgezogen. Ein erheblicher Zuwachs der Besucherzahlen ist jedoch laut Tourismusminister nicht angestrebt.

Von den etwa 2,5 Milliarden mauritischer Rupies (etwa 35 Millionen Mark), die der Tourismus im vergangenen Jahr eingebracht hat, bleiben netto lediglich 15 Prozent auf der Insel. Meridien, Club Mediterranee, bald auch Sheraton und einige andere ausländische Reise- und Hotelmultis mehr sahnen das meiste ab.

Die sozialen und Umweltkosten sind gewaltig. „Welche Strände bleiben noch für die Einheimischen übrig?“ fragte gerade ein kritischer Fernsehbeitrag.

Elite-Touristen verbrauchen unmäßig viel Wasser und produzieren unmäßig viel Abfall - alles auf Kosten der Einheimischen. Denn es herrscht Wassermangel auf der Insel, die Kläranlagen der Hotels sind völlig unzureichend, und mit dem Müll weiß man seit langem nicht mehr wohin. „Ein Paradies ohne Erbsünde“ ist das tropische Eiland nur noch in den Hochglanzbroschüren des Tourismusministeriums. Zu den Attraktionen der Nobelherbergen gehören Casinos, die dem von Chinesen schon immer hingebungsvoll gepflegten Glücksspiel einen weiteren Aufschwung verschaffen. Der Drogenhandel ist ebenso aufgeblüht wie die Prostitution.

Von der Zuckerkolonie

zur Pulloverrepublik

So vollmundig, wie Mauritius sich als Trauminsel für Sonnen und Meereshungrige verkauft, bietet es sich auch als Investitionsparadies für Exportproduzenten an. „Mauritius bietet eine einzigartige Kombination von Anreizen und Vorteilen für Exportunternehmen: ein stabiles politisches und soziales Umfeld..., eine gut ausgebildete, anpassungsfähige, produktive und billige Arbeiterschaft..., garantiert keine Nationalisierung“, heißt es in einem Werbeprospekt von Media, der staatlichen Außenhandelsgesellschaft.

Vor zehn Jahren, als die Zuckerpreise auf dem Weltmarkt fielen, wuchsen auf der Insel Arbeitslosigkeit, Auslandsschulden und Inflation. 1982 schluckte die Regierung die überall vom IWF und Weltbank verordneten Medikamente der Strukturanpassung: Die Rupie wurde abgewertet, der Handel liberalisiert, die Löhne begrenzt, Staatssubventionen für Grundnahrungsmittel gestrichen und ausländischem Kapital Anreize geboten. Dank der niedrigen Lohnkosten gaben sich im Handumdrehen französische, britische, südafrikanische und aus Hongkong ausweichende Unternehmer ein Stelldichein.

Heute sind 100.000 Inselbewohner in der Exportproduktion beschäftigt, 80 Prozent davon Frauen. Die Arbeitslosigkeit ist rapide gesunken. Hergestellt werden vor allem Textilien, T-Shirts, Strickwaren und Sportbekleidung - das meiste für französische, US-amerikanische und bundesdeutsche Arbeitnehmer. Die Zahl der Unternehmen ist von 146 im Jahr 1983 auf 591 im vergangenen Jahr hochgeschnellt, der Wert der Exporte im selben Zeitraum von 1,3 Milliarden auf 8,2 Milliarden Rupies (1,17 Milliarden Mark). Mauritius ist in der Textilindustrie ein Lehrbuchbeispiel für die Wunder des Welthandels: Obwohl kein Schaf auf Mauritius grast, ist die Insel zum drittgrößten Strickwarenexporteur der Welt geworden, bei der Wollsiegel-Qualität gar die Nummer eins. Erweist sich die Weltmarktintegration damit für die Insel als unendliche Erfolgsgeschichte?

Die Zukunft gehört Boss

Die Firma KFI Knitting Fabrics Industries war die erste, die auf Mauritius 1971 mit der T-Shirt-Herstellung begann. Das Rohmaterial, Baumwollgarn, wird sämtlich importiert, das Gros aus Südafrika. Bei KFI wird gefärbt, gewebt, zugeschnitten und genäht. 250 Arbeiterinnen schuften hier 45 Stunden die Woche für einen Monatslohn von 1.100 Rupies (etwa 150 Mark). 3.000 Bekleidungsstücke verlassen täglich den Betrieb, nur 20 Prozent der Produkte bleiben auf dem lokalen Markt. Frankreich ist Hauptabnehmer, aber auch Karstadt gehört zu den Kunden. KFI ist ein vergleichsweise kleiner Betrieb, andere Textilunternehmen beschäftigen über 1.000 Arbeiterinnen.

Ganz anders dagegen die erst im April eröffnete Textilfabrik Sokota. Die 74 nagelneuen Webstühle werden, wenn Arbeitskräfte und Maschinen voll eingespielt sind, von nur vier Arbeitern und einer Aufsichtsperson bedient. Das gesamte Management setzt sich aus Ausländern zusammen.

Hier setzt man auf Automatisierung und Spitzenqualität nur so können die Hersteller langfristig auf dem Weltmarkt konkurrieren. Denn die Arbeitsmarktlage auf der Insel hat sich innerhalb weniger Jahre total gewendet: Die Industrie rekrutierte im Eiltempo Arbeitskräfte, vor allem vorher nicht berufstätige Frauen und junge Saisonarbeiter aus dem Zuckeranbau. In der Landwirtschaft besteht dagegen ein ernsthafter Arbeitskräftemangel. In der Exportproduktionszone fehlen qualifizierte ArbeiterInnen, und die Firmen werben sich die gut Ausgebildeten gegenseitig ab. Bei der KFI zum Beispiel stehen 50 Nähmaschinen ungenutzt in der hohen neonbeleuchteten Produktionshalle. Die ArbeiterInnen sind gewerkschaftlich organisiert und haben im vergangenen Jahr für bessere Löhne und einen höheren Bonus zu Weihnachten gestreikt. Lohnerhöhungen, Reklamationen und Absatzprobleme ihrer nicht sehr hochwertigen Massenware auf dem europäischen Markt beförderten einige wenige mechanisierte Betriebe bereits in den Konkurs.

So gibt es denn aus Unternehmersicht keine Alternative, wenn die internationale Konkurrenzfähigkeit gesichert werden soll: Sie mechanisieren weiter, versuchen Marktnischen aufzuspüren, stellen von Quantität auf Qualität um, von arbeits- auf kapitalintensive Produktion. Die Zukunft gehört Boss und Paolocci, die hier ihre Anzüge schneidern und ihre Pullover stricken lassen.

Die Grenzen des Wachstums

Wie in der Landwirtschaft fordert die Regierung auch in der Industrie zur Diversifizierung auf. Weg von der Monoindustrie ist die Devise. Doch nur zögernd wird ausländisches Kapital in die Herstellung von Brillen, Uhren, Schmuck, Spielwaren und Karnelvalsmasken investiert. Die Wachstumsrate der Exportproduktionszone ist in den vergangenen zwei Jahren von 30 auf 20 Prozent gesunken, das Wachstum der Gesamtwirtschaft verlangsamte sich von sieben auf fünf Prozent. „Konsolidierung“ nennen dies mit ungedämpftem Optimismus die Wirtschaftspolitiker der Insel. Doch ganz offensichtlich stößt das Wirtschaftswunder bereits jetzt an die Grenzen des Wachstums.

Die Arbeiterschaft, deren niedrige Bezahlung der Nährboden für den kometenhaften Aufschwung war, haben bisher den kleinsten Teil vom Kuchen abbekommen, und die Regierung hat programmatisch erklärt, für mehr soziale Gerechtigkeit Sorge zu tragen. „Wir wollen kein zweites Singapur werden“, versichert Mr.Aboobakar, Direktor von Media. „Sozial und echt demokratisch“ will man sein, kein „reines Ausbeutungssystem“ wie die südostasiatischen „Tiger“. Ein Versicherungssystem wird aufgebaut, ein Gesetz sieht gleiche Löhne für Männer und Frauen vor, der Mutterschaftsurlaub beträgt drei Monate, ein Firmenbus muß für den Transport der Belegschaft bereitgestellt werden. Und Manager Proudrier von Sokota, selbst Gastarbeiter aus Frankreich, geht am Morgen von Maschine zu Maschine und schüttelt Hände, besonders gern die der „reizenden Damen“ - Kapitalismus mit menschlichem Antlitz also?

Wie den sozialen Ausgleich schreibt die Regierung jetzt auch den Ausgleich von Ökonomie und Ökologie auf ihr Panier. Die Sünden der Umweltvernachlässigung machen sich alarmierend bemerkbar. Eine Studie der Weltbank von 1985 stellte verseuchte Küstengewässer und Fischsterben infolge ungeklärter Industrieabwässer besonders durch Textilfarbstoffe und der von den Feldern durch Regen ins Meer gespülten Düngemittel und Pestizide fest. „Alles unter Kontrolle“, spielt dagegen Premierminister Sir Anerood Jugnauth das Problem herunter. Geplant ist, die besonders umweltschädlichen Fabriken in einem Industriepark zu konzentrieren.

Die südafrikanische Connection

„Da sind wir ganz pragmatisch“, antwortet Media-Direktor Aboobakar auf die Frage nach den südafrikanischen Verbindungen. Dafür, so meint er, habe auch die Organisation afrikanischer Staaten (OAU) Verständnis, die zum Boykott der Apartheidwirtschaft aufruft und der Mauritius angehört.

Touristen, Kapital und Waren aus Südafrika sind auf Mauritius gleichermaßen willkommen. Man spricht nicht darüber, aber jeder weiß, daß der Hafen von Port Louis eine Weißwaschanlage für Produkte aus dem Apartheidstaat ist. Sie bekommen hier ein neues Etikett und werden alsdann mit dem Aufkleber „made in Mauritius“ in andere Länder verschifft. Die Höhe der Investitionen in der Exportproduktionszone spielt die Regierung gerne herunter, doch es ist ein offenes Geheimnis, daß sich südafrikanisches Kapital hinter mauritischen Strohmännern und Joint-ventures verbirgt.

Eintracht im Vielvölkerstaat

„Wir sind alle Ausländer“, nennt Premierminister Jugnauth als Grund für die Harmonie der Kulturen und Religionen auf der Insel. Friedfertig und freundlich gehen die ethnischen Gruppen im Alltag miteinander um, die sich in nicht wenigen anderen Ländern blutig bekämpfen. Ihr privates Leben leben sie jedoch fein säuberlich getrennt voneinander: die indischen Hindus, die indischen Moslems, die Weißen, die Schwarzen und die Chinesen. Bei Vollmond, ein in der indischen Astrologie stets glücksverheißendes Datum, sieht man überall Hindu-Hochzeiten: die Braut im prachtvoll roten, goldbestickten Seidensari, der Bräutigam im Salwar Chemise und mit Turban, gerade so wie in den Dörfern Rajasthans und Bihars. Auf die verschämte Frage, ob das Kastensystem denn noch beachtet werde, kommt die gar nicht verschämte Antwort: „Aber natürlich, sehr sogar!“

Der Sprung in die Industrialisierung bewirkte allerdings mit gleicher Geschwindigkeit einen sozialen Umbruch. Frauen aller Altersgruppen wurden angelernt und sind erstmalig berufstätig, der Alltagsrhythmus in den Familien hat sich schlagartig geändert, der Trend zur Kleinfamilie ist durch den Doppelverdienst und die gestiegenen Konsumansprüche beschleunigt worden, die Versorgung von Kleinkindern ist ein ungelöstes Problem für die berufstätigen Mütter. Wohin mit den Babies, wo alle Frauen in der Verwandtschaft nun auch Fabrikarbeiterinnen sind und es nur wenige Kinderhorte gibt. Das Wirtschaftswunder fordert seinen sozialen Preis.

Import von Arbeitskräften wäre eine Lösung des Arbeitskräftemangels. Doch dieses heiße Eisen wurde nach kurzer öffentlicher Debatte im vergangenen Jahr wieder fallengelassen. Die Regierung von Mauritius will die bereits multiethnische Gesellschaft, die mit 500 Einwohnern pro Quadratkilometer eine extrem hohe Bevölkerungsdichte aufweist und nach großangelegten Familienplanungskampagnen ihre Zuwachsrate gerade auf ein Prozent gesenkt hat, nicht vergrößern und sich erst recht keinen sozialen Sprengstoff auf das friedliche, „sozial unverschmutzte“ Eiland holen.

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