Gegen das BGA ermitteln

Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Holzschutzmittelhersteller / Die Chancen der Geschädigten auf Schadensersatz sind gestiegen / Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsamt  ■ I N T E R V I E W

„Fahrlässige, vorsätzliche gefährliche Körperverletzung, Freisetzung von Giften“ - so lautet die Anklage gegen drei Geschäftsführer der beiden marktführenden Holzschutzmittelhersteller - „Desowag-Materialschutz“ und „Sadolin GmbH“ -, die von der Staatsanwaltschaft Frankfurt in einem Pilotverfahren im vergangenen Monat erhoben wurde (taz vom 15.7.89). Volker Zapke von der 1983 gegründeten Interessengemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten, die das Verfahren mittels einer Strafanzeige in Gang gebracht hat, nimmt dazu Stellung.

taz: Nach fünfjährigen Ermittlungen hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Erstmals wurde der Beweis eines direkten Zusammenhangs zwischen Anwendung der Holzschutzmittel und gesundheitlichen Schädigungen angetreten. Von Geschädigten angestrengte Zivilprozesse gab es bislang mehrfach - Schadensersatz wurde den Opfern selten zugesprochen. Wird sich das jetzt ändern?

Zapke: Daß es, trotz etlicher Schwierigkeiten, zur Anklage kam, ist erst mal toll. Die Anklageschrift selbst ist mit enormer Sachkenntnis recherchiert. Zum Nutzen in Zivilprozessen ist zu sagen, daß derzeit neun Verfahren ausgesetzt sind. Die Anklageschrift wird den Klägern jetzt eine umfangreiche Argumentationshilfe geben.

Die Hersteller weisen eine Gesundheitsgefährdung bei „sachgemäßer Anwendung“ der Mittel zurück.

Ein durchschaubares Manöver: Die Frage nach der Anwendung ändert doch nichts an der Ausgasung der Giftstoffe. PCP und Lindan, die in den Mitteln enthalten waren, gasen 20 bis 30 Jahre aus. Bei Dioxinen und Furanen, die in beiden Stoffen enthalten sind, kann man bei hunderttausend Jahren aufhören zu zählen.

Die Staatsanwaltschaft geht von einer Dunkelziffer von mehreren hunderttausend Geschädigten aus. Ist das nicht zu hoch gegriffen?

Nein. Uns sind allein 20.000 Betroffene bekannt, von denen 5.000 sich der Strafanzeige angeschlossen haben. Berücksichtigt man, in welchem Maße die Mittel vor allem in den siebziger Jahren verarbeitet wurden, ist die Schätzung der Staatsanwaltschaft realistisch.

Die Anklage spricht von schweren körperlichen Schädigungen bis hin zu Selbstmordversuchen und der Gefahr von Geisteskrankheiten. Konnten denn keine Ärzte helfen?

Die Ursachen wurden meist nicht erkannt, oft unerklärliche Symptome attestiert. Erst heute weiß man, daß außer Kopfschmerzen, Benommenheit, Mattigkeit und Krebs auch Depressionen auftreten, ausgelöst durch die Schädigung des Gehirns infolge des Inhalierens der Giftstoffe.

Einher mit den körperlichen gehen finanzielle Schädigungen der Betroffenen.

Bei der Sanierung der Wohnungseinrichtung reicht es wegen der Ausgasung der Gifte nicht, beispielsweise die betroffene Holzdecke herauszureißen. Die Gifte lagern sich in Teppichen, Polstermöbeln, Matratzen, Bettzeug und Kleidungsstücken ab. Das muß alles weggeworfen werden.

Wie sieht es mit Unterstütung für die Betroffenen aus?

Die Sanierung kann als Sonderausgabe bei der Einkommensteuer anerkannt werden. Bedingung dafür ist der Nachweis, daß die Stoffe im Blut und in den betroffenen Sanierungsgegenständen vorkommen.

Gibt es inzwischen einen Hilfsfonds der Bundesregierung?

Bislang noch nicht. Die Hersteller lehnen dies übrigens ab. Wir haben einen Rechtshilfefonds, ohne den wir die ersten, verlorenen Prozesse nicht überstanden hätten.

Das Bundesgesundheitsamt (BGA) hat in der Vergangenheit eine dubiose Rolle gespielt. Da wurden Risikostudien zu spät erstellt - was auch die Staatsanwaltschaft befindet. Müßte die Anklagebehörde nicht auch gegen das BGA ermitteln?

Erst 1978 gab es eine erste Studie aus dem BGA. Die Kommission, die damals über die Schädlichkeit der Mittel entschied, bestand zur Hälfte aus Vertretern der chemischen Industrie. Eine andere Studie der Unterabteilung „Institut für Boden, Wasser und Luft“ läuft derzeit noch. Im gleichen Haus befindet sich ein Verein gleichen Namens, der ausschließlich von der chemischen Industrie bezahlt wird. Und da fließen die Mittel... Um die Ungereimtheiten zu durchleuchten - darunter auch die Frage, nach welchen Kriterien das BGA die Mittel damals zugelassen hat - müßte die Staatsanwaltschaft samt dem BKA beim BGA vorfahren und die Akten beschlagnahmen.

Interview: Michael Blum