Soldaten töten hungerstreikende Gefangene

■ In der Türkei hat der Terror gegen politische Häftlinge zwei weitere Menschen das Leben gekostet / In einer brutalen Aktion wurden hungerstreikende Gefangene verlegt / Anweisung: „Bei Widerstand ist mit dem Gewehrkolben auf die Gefangenen einzuschlagen“

Instanbul (taz) - Der Terror gegen politische Häftlinge in türkischen Gefängnissen hat zwei weitere Menschen das Leben gekostet. Die Gefangenen Mehmet Yalcinkaya und Hüsnü Ergolu sind tot. Dutzende durch Knüppeleinsätze schwer verletzte Gefangene wurden am Mittwoch ins staatliche Krankenhaus Aydin eingeliefert.

Am 35.Tag des Hungerstreiks der politischen Gefangenen im Gefängnis Eskisehir versuchte das Justizministerium mit einem Gewaltakt den Hungerstreik zu brechen. 280 der insgesamt 312 Gefangenen im Gefängnis Eskisehir waren im Hungerstreik. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch stürmten Soldaten in die Zellen. In einer Nacht- und Nebelaktion sollten alle Gefangenen in die Gefängnisse Aydin und Nazilli verlegt werden. Die Tageszeitung 'Cumhuriyet‘ zitierte gestern die Anweisung, die von oben ergangen war: „Bei Widerstand gegen die Verlegung ist mit Gewehrkolben auf die Gefangenen einzuschlagen“. Nackt, nur in Decken gehüllt, wurden die Häftlinge in die Gefangenentransporter gepfercht. Die Hitze und die zwölfstündige Fahrt ohne Belüftung gaben ihnen den Rest: Scharenweise brachen sie zusammen - völlig entkräftet nach 35 Tagen Hungerstreik.

„Viele unserer Freunde sind im Koma. Sie haben sie dem Tod überlassen. Als wir in Aydin angekommen nach Hilfe riefen, schlugen sie auf uns ein“, berichtete ein Inhaftierter, der in der Polyklinik des staatlichen Krankenhauses Aydin mit Journalisten sprechen konnte. Mit Holzknüppeln bewaffnet, prügelten die Bewachungssoldaten die Gefangenen aus Eskisehir, als sie um Hilfe riefen. Offensichtlich sind Mehmet Yalcinkaya und Hüsnü Eroglu durch diese Knüppelhiebe ermordet worden. „Wir wissen nicht, ob die zwei toten Häftlinge aufgrund des Hungerstreiks oder durch einen harten Gegenstand gestorben sind“, bemerkte zynisch der zuständige Staatsanwalt Nural Vcurum. „Die Todesursache ist Koma und Schock aufgrund des Hungerstreiks“, gab Arif Yüksel, Staatssekretär im Justizministerium, bekannt.

Ursache des Hungerstreiks in Es Fortsetzung auf Seie 2

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kisehir war die Verschärfung der Haftbedingungen, nachdem zwei Fluchttunnel gefunden worden waren. Stolz hatte Justizminister Oltan Sungurlu Pressemitgliedern die Fluchttunnel vorgeführt, die die „terroristisch -anarchistische Veranlagung“ der Inhaftierten demonstriere. Die Strafe für die Fluchttunnel war eine ungeheure Repression gegen die Gefangenen: Man zerfetzte ihnen die Kleider, sperrte alle Außenkontakte, entriß ihnen Bücher und Papier. In Vierpersonenzellen wurden acht Gefangene gepfercht - zwei Tage lang ohne Brot und Wasser.

Aus Protest gegen die Verschärfung der Haftbedingungen begannen die politischen Gefangenen am 29.Juni ihren Hungerstreik. Unter ihnen, im Gefängnis Eskisehir, befinden sich prominente kurdische Oppositio

nelle. So der ehemalige Bürgermeister der kurdischen Stadt Diyarbakir, Mehdi Zana. Zana ist seit dem Militärputsch 1980 in Haft. Auch Recep Marasli ist im Hungerstreik. Der Verleger sitzt, weil er kurdische Literatur publiziert hat. Sein Gesundheitszustand soll besorgniserregend sein. Magenblutungen sind unter den Hungerstreikenden verbreitet.

Seit Wochen fordern demokratische Verbände und türkische Medien den Justizminister auf, einzulenken. „Die Streikenden haben die Todesgrenze erreicht“, warnte die angesehene Tageszeigung 'Cumhuriyet‘ am 1.August. Amnesty international hatte Tage zuvor Ministerpräsident Turgut Özal und Justizminister Sungurlu aufgefordert zu intervenieren. „Wenn aufgrund des Hungerstreiks ein Gefangener stirbt, liegt die Verantwortung bei ihm“, war die Antwort des Justizministers. „Einziges Ziel der Gefangenen ist, die Aufmerksamkeit der Öf

fentlichkeit auf sich zu lenken.

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