„Den eiskalten Bankräuber gibt es nicht“

■ Der erste Kriminalhauptkommissar Helmut Huwe (55) zu Banküberfällen im Allgemeinen und Speziellen / „Die überwiegende Anzahl der Überfälle sind Spontantaten“, sagt er / Ab und zu sind auch Frauen beteiligt

Im Zeitraum vom 7. bis zum 25. Juli wurden in Berlin sieben Banken ausgeraubt. Die Beute war meist gering, die Täter wurden wenige Tage später alle geschnappt. Die Bankräuber wurden während ihrer „Arbeit“ von automatischen Kameras fotografiert, und weil die meisten unmaskiert waren, fiel die Fahndung nicht schwer. Ein 19jähriger Täter hatte ganz besonders viel Pech: Er blieb mit seinem Fluchtauto, das zudem von seiner nichtsahnenden Mutter gefahren wurde, im Stau stecken und wurde ein paar Minuten später festgenommen.

Unsere Justizreporterin Plutonia Plarre unterhielt sich mit dem Kriminalhauptkommissar Helmut Huwe über die sicherheitstechnische Banküberwachung, die Motive der Täter, über Aufklärungs- und Frauenquoten im immer weniger einträglichen Bankraub-Geschäft.

taz: Herr Huwe, Sie gelten als Experte in Sachen Banküberfälle, wie lange sind Sie in der Branche schon tätig?

Helmut Huwe: Ich unterhalte mich mit Ihnen nur weiter, wenn Sie das Wort Experte weglassen...

Dann ziehe ich das zurück.

Ich bin kein Experte, sondern damit als Kommissariatsleiter befaßt und auf diesem Gebiet seit zehn Jahren tätig.

Ist der Eindruck richtig, daß in diesem Sommer ungewöhnlich viele Banküberfälle verübt wurden?

Dieser Eindruck ist auf den ersten Blick durchaus als richtig zu bezeichnen, aber bei näherer Betrachtung wird man feststellen, daß es eigentlich auf dem gleichen Stand des Vorjahres geblieben ist. Wir haben also kein beängstigendes Ansteigen der Banküberfälle.

Wie ist dann zu verstehen, daß der erste Eindruck richtig ist?

Wir hatten 1988 eine Gesamtzahl von 27 Banküberfällen mit einer Aufklärungsquote von 37 Prozent, daß sind zehn aufgeklärte Taten. In diesen Jahr hatten wir bis zum 1.August 20 Taten, dabei müssen wir aber den Zeitraum vom 7.Juli bis 25.Juli mit einer auffälligen Häufung von sieben Taten innerhalb dieses Zeitraums berücksichtigen. Aber das sind Taten, die aus einer Sogwirkung heraus entstanden sind. Wenn wir die abziehen - sie sind nebenbei gesagt alle aufgeklärt - haben wir 13 Taten, vier davon sind Versuche. So kämen wir wieder auf neun, die gleiche Zahl wie am 1.August 1988.

Mit den sieben Taten meinen Sie die Überfälle, wo unlängst nach den unmaskierten Tätern in der Tagespresse gefahndet wurde. Zum Beispiel nach einem mit T-Shirt bekleideten jungen Mann. Das Foto, das ihn am Bankschalter zeigt, soll eine Sogwirkung auf andere ausgeübt haben?

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung durchaus.

Obwohl er unmaskiert war? Wer ist denn so blöd, das nachzumachen?

Es ist uns bekannt, das die überwiegende Anzahl der Banküberfälle Spontantaten sind. Diese Spontanität ergiebt sich sicherlich aus der plötzlichen Situation. Überwiegend sind diese Täter verschuldet. Ihnen kann also als I -Tüpfelchen, beispielhaft gerade wieder noch eine Rechnung ins Haus geflattert sein. Dann sieht er das Foto in der Zeitung, denkt sich, der hat was bekommen, also versuch ich es auch mal.

Das wäre vielleicht anders, wenn Zahlen über die Höhe der Beute veröffentlicht würden. In der Regel springen ja nur wenige Tausender dabei raus, oder?

An der Summe einer Bankraubbeute an sich ist nichts Geheimnisvolles. Aber das Bekanntgaberecht hat der Geschädigte, in diesem Fall die Geschäftsleitungen der Geldinstitute und nicht wir. Ich kann nur sagen, ein Bankraub lohnt sich nicht, wie Verbrechen überhaupt nicht. Die Mindeststrafandrohung für einen schweren Raub Mitführung von Waffen ist es nun mal ein schwerer Raub - ist immerhin fünf Jahre.

Hat sich Bankraub früher gelohnt?

Bankraub hat sich eigentlich noch nie gelohnt, weil die Strafandrohung schon immer hoch war. Ich will nicht bestreiten, daß vor einigen Jahren die Banken in ihrer Bereitschaft den Kunden schnell und richtig zu bedienen, höhere Summen am Tagesschalter hatten. Aber seit 1983 ziehen die von den Banken und der Polizei gemeinsam durchgezogenen Präventionsmaßnahmen derartig, daß bei einem Bankraub keine hohen Summen mehr zu erwarten sind.

Was sind das im Einzelnen für Maßnahmen?

Der Einbau der automatischen Raumüberwachungskameras, die Vollverglasung der Kassenboxen, die Überleitung zu time-lock - Kassenschalter, bei denen es dem Kassierer einfach nicht möglich ist, an eine unbegrenzte Summe Geldes heranzukommen und noch andere technische Einrichtungen innerhalb der Institute.

Bankraub gilt von jeher als etwas Besseres als andere Verbrechen. Hat sich der Tätertypus verändert?

Der Bankraub als solches ist ein Nebenzweig des großen Rahmens Gewaltkriminalität, und Gewalttäter sind nun einmal vom Intellekt her nicht die am besten ausgestatteten. Der Bankräuber von vor 50 Jahren war sicherlich genauso gewaltätig wie der jetzige. Die Bereitschaft zur Gewalt besteht nach wie vor. Dabei muß man auch mal folgenden Aspekt bedenken: eine Dame oder ein Familienvater guckt in die Mündung einer Waffe und kriegt einen Schock, ganz unabhängig davon, ob diese scharf ist oder nicht. Zum anderen neigt der Täter, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt oder nicht gleich bedient wird, sofort zur Gewalt. Daß heißt nicht unbedingt, daß er schießt. Das ist sein letzter Ausweg, wenn er eine scharfe Waffe hat. Aber er schlägt zum Beispiel mit der Waffe zu. Wir haben schon erheblich verletzte Kunden und Bankangestellte gehabt.

Es kommt aber auch vor, daß keine Waffe verwendet wird und der Täter abhaut, wenn etwas schiefgeht.

Diese Fälle gibt es auch. Aber einem Täter, der nichts bei sich hat und damit praktisch den Gipfel der Frechheit erreicht, bleibt doch gar nichts anderes übrig als die Flucht. Wir hatten kürzlich auch einen Täter, der Bankfilialen überfallen hat und die Kassiererin nicht in der Kassenbox angetroffen hat. Das kann aber nicht dazu führen, daß die Sache verniedlicht wird oder denen der Hang zur Gewalttat abgesprochen wird. Auch dieser Täter hätte mit seinem Auftritt mit Sicherheit etwas anderes ausgelöst, wenn er die Kassierin vorgefunden hätte.

Gilt Bankraub immer noch als reines Männergewerbe oder sind ab und zu auch Frauen beteiligt?

Ab und zu ist die richtige Betonung. Von 100 Fällen vielleicht drei Frauen. Der letzte Fall hier in Berlin war vielleicht vor zwei Jahren.

Überfallen auch Akademiker, wie zum Beispiel Diplomingenieure, Banken?

In der Regel nicht, aber wir hatten einen. Wenn man den Ingenieur als einen gebildeten Mann betrachtet, dann spielen bei dem andere Aspekte eine Rolle. Das heißt, er kann alkoholabhängig sein und bricht in diesem Zustand alle Brücken hinter sich ab. Dann ist es ihm auch egal, was er macht.

Wie häufig handelt es sich bei Bankraub um Beschaffungskriminalität?

Im überwiegenden Fall, eigentlich immer. Der eine brauchts, um auf diesem Wege seinen Konsum an Betäubungsmitteln zu decken. Die anderen sind erheblich überschuldet und wissen deshalb nicht mehr ein noch aus. Das sind eigentlich die beiden großen Gruppen. Daß Arbeitslosigkeit ein Grund ist, Banken zu überfallen - wie auch behauptet wird - kann in keiner Weise bestätigt werden.

Was empfindet man als Kommissariatsleiter, der schon unzählige Bankraube und Festnahmen erlebt hat?

Ganz burschikos ausgedrückt: Die Zufriedenheit, die Arbeit gut gemacht zu haben.

Und selbst sind Sie noch nie auf die Idee gekommen, eine Bank zu machen?

Da kann ich Ihnen einen Gag liefern, ist 'ne spontane Antwort: Dazu hätte ich nicht die Nerven.

Warum nicht?

Den eiskalten Bankräuber gibts ja nicht. Er ist genauso aufgeregt wie die Opfer, und eine gewisse Überwindung kostet das natürlich schon. Aber die Frage ist wirklich hypothetisch. Um das Wissen, wie die Aufklärungsmöglichkeiten sind, schließt sich sowas eigentlich für Polizisten aus.

Auch in Ihrer Jugend haben Sie sowas nie erwogen, noch nicht mal spaßeshalber?

Nein. Als ich im bankraubfähigen Alter war - so ungefähr 1945/46 - da hatten die Banken zu.

Interview: Plutonia Plarre