Feministischer Realismus

■ Ein Frauenwandbild zum Hamburger Hafengeburtstag

Heide Soltau

Majestätisch schwebt sie über der Elbe: die Schweißerin am Speicher in der Hafenstraße - die dort eigentlich Große Elbstraße heißt. Aber wo immer vom Hamburger Hafenrand die Rede ist, sagt man heute kurz Hafenstraße. Die umstrittenen Häuser sind längst ein Markenzeichen der Stadt, so oder so. Von ihrem Ruf profitieren inzwischen auch diverse Touristikunternehmen, die eine Besichtigung besagter Häuser in ihr Programm eingebaut haben - aus sicherer Entfernung, versteht sich. Der Hafenrand also ist seit Ende Juli um eine Attraktion reicher: Seitdem prangt dort ein monumentales Frauenwandbild, ein Beitrag zum 800.Hafengeburtstag, entwickelt und in Auftrag gegeben vom „Arbeitskreis Frauen im Museum der Arbeit“.

Ziel war, „einen öffentlichen Raum für Hamburger Frauengeschichte“ zu schaffen. Statt sie im Museum zu zeigen, wollten die Initiatorinnen des Wandbilds die Frauenarbeit im Hafen für alle sichtbar machen und ins Stadtbild integrieren. Eine gute Idee, zweifellos. An dem Gemälde führt kein Blick vorbei. Wer die Elbstraße passiert, ist mit dem Bild konfrontiert und wird sich unweigerlich den Hals danach verrenken. Aber daß hier Frauen zu sehen sind, ausschließlich Frauen, scheint, überraschenderweise, nur wenigen aufzufallen. Der kleine Unterschied hat am Hafenrand keine Folgen. „Das sind doch keine Frauen!“ rief ein Tourist aus Frankfurt empört und deutete auf einige Gestalten mit Helm und Overall. Er fühlte sich durch den Hinweis sichtlich verschaukelt: „Das hätte ich nie gemerkt“, meinte auch eine Mittfünfzigerin verblüfft, die bereits längere Zeit das Bild betrachtet hatte. „Aber das könnte stimmen“, räumte sie zögernd ein. Die Unsicherheit blieb. „Das hat mit'm Hafen zu tun“, war jedenfalls die meistgenannte Antwort auf meine Frage, was auf dem Bild zu sehen sei. Zufall? Oder ist es der männlich geprägte Blick, der die Frauen wieder zum Verschwinden bringt?

Frauen in Arbeitsklamotten sind eben Männern sehr ähnlich. Nicht nur auf dem Wandbild, auch in der Realität. Was im Alltag belanglos ist und gern als Zeichen weiblicher Stärke gewertet wird, kann in der Kunst fatale Folgen haben, zumindest dort am Hamburger Hafen, wo die Kunst, laut Konzept, ganz im Dienst der Wirklichkeit steht.

Drei Jahre hindurch haben 20 Frauen zwischen 25 und 77 Jahren, Frauen mit verschiedener Vorbildung und verschiedenen Berufen, das Thema recherchiert, in Archiven gestöbert und mit Frauen aus dem Hamburger Hafen gesprochen. Berge von Material sind da zusammengekommen. Ein ganzes Bilderlesebuch ist entstanden, etwas unhandlich zwar und für eine gemütliche Lesestunde auf dem Sofa nicht geeignet, aber informativ und lebendig mit wunderbaren Fotos, die zum Teil aus dem Privatbesitz der interviewten Frauen stammen. Dem Buch ist anzumerken, daß Profis am Werk waren, Frauen, die schon seit Jahren im Museum der Arbeit in Hamburg aktiv sind und historische Stadtrundgänge und Ausstellungen organisieren.

Das Gemälde sollte allgemein verständlich und leicht zu entschlüsseln sein. Die Museumsfrauen haben sich deshalb für eine realistische Collage entschieden, die den Alltag der Frauenarbeit im Hafen abbildet - „weil es nur wenige Leute gibt, die abstrakte Kunst lesen können“, so die Kunsthistorikerin und Volkskundlerin Elisabeth von Dücker, die das Projekt koordiniert hat. Vorbild war Heinrich Vogelers Komplexbild Hamburger Werftarbeiter von 1928, eine in Öl gemalte Agitationstafel, auf der er den Hamburger Werftarbeiteraufstand von 1923 dargestellt hat. Freilich kommen bei Vogeler Frauen nur als treusorgende und wartende Ehefrauen vor. Es galt also, andere Bildinhalte zu entwickeln, was die Hamburgerinnen dazu verführt hat, die Sache kurzerhand umzudrehen. Neuer Wein in alten Schläuchen also: Statt Männern gibt's nun Frauen im Hamburger Hafen zu sehen: Werftarbeiterinnen und Reinemachfrauen, Fischarbeiterinnen und Prostituierte, je eine Kranführerin, Laborantin, Funkerin, Binnenschifferin und eine Mutter mit Kind vor einem riesigen Berg Geschirr, um die unsichtbare Haus- und Reproduktionsarbeit zu versinnbildlichen. Geschirr, Kaffeesäcke und Kaffeemühle, Hände, die einen Fisch ausnehmen, und ein Computer- und Bücherhaufen gliedern das Bild in die vielen Bereiche, in denen Frauen vor allem tätig sind: in der Fisch- und Kaffeeindustrie, im Büro und zu Hause. Dazu, eingebettet in den Arbeitsalltag, ein mächtiger Zug demonstrierender Frauen, die Transparente in die Höhe halten: „Frauen kämpfen gemeinsam“, „Gleiche Arbeit - gleicher Lohn“, „Hurensolidarität“, „Erhaltung der Werften“. Das soll wohl Frauenpower ausdrücken. Aber es kommt noch dicker.

Über der Demonstration schwebt, wie eine Göttin, unübersehbar die schon besagte Schweißerin. Nur die Spitze eines Krans haben ihr die drei Malerinnen Hildegund Schuster, Wiebke Hohrenk und Gisela Misle zur Seite gestellt. Ansonsten gibt es dort oben nur Himmel. Ein bombastisches Denkmal der Arbeit. Kein Zufall vielleicht, daß diese Schweißerin der Wirklichkeit gar nicht mehr entspricht. Zwar wurden ab Ende der dreißiger Jahre Frauen als Schweißerinnen ausgebildet, man brauchte sie in der Rüstungsindustrie, und noch in den fünfziger und sechziger Jahren warb die Werft Blohm und Voss Frauen für diesen Männerberuf an, sogar eine weibliche Arbeitskolonne hat es gegeben. Aber heute arbeitet im Hamburger Hafen keine einzige Schweißerin mehr.

Sie sieht eben besonders proletarisch aus, die Frau mit dem Schweißgerät, und hat deshalb wohl den Ehrenplatz auf dem Olymp bekommen. Diese Heldin der Arbeit macht das Frauenwandbild zu einem gutgemeinten, aber peinlichen Zitat längst vergangener Zeiten. Sie könnte auch vor 60 Jahren in der Sowjetunion entstanden sein oder die Wand eines volkseigenen Betriebs in der DDR schmücken.

Die Rechnung der Museumsfrauen ist nicht aufgegangen. Das Bild ist bunt und belebt die triste Ecke, und vielleicht zaubert es ein Lächeln auf die verschlossenen Gesichter der Hamburger. Doch gute Quellen sind noch kein gutes Kunstwerk. Quellen können allenfalls kreative Rohmasse sein und KünstlerInnen inspirieren. Die Umsetzung in ein Kunstwerk jedenfalls erfordert mehr als die Abbildung der Wirklichkeit in Form einzelner, dem Leben abgeguckter Szenen. Das Wandbild am Speicher erinnert eher an eine Wandzeitung, bei der die Bilder Inhalte vermitteln, die sich malerisch darstellen lassen. Wo das nicht möglich war, haben sich die Künstlerinnen mit der Schrift beholfen und Stichworte in die Collage integriert: Nebel, Gicht, Liebe, Bomben, Hunger, Warten, Lachen, Macht, Gestank, Kurzarbeit...

Zu genau, zu ordentlich und zu sehr auf Vollständigkeit bedacht, haben sie ihre Ideen ins Bild gesetzt. Mut zur Phantasie jedenfalls haben sie nicht gezeigt. Es fehlen Spinnereien und Witze, Unverschämtheiten und Rätsel, kurz, es fehlt dem Bild an Frechheit, und es fehlt die Lust am Experiment. Müssen Frauen wirklich immer so gutherzig daherkommen, so vernünftig und bieder?

Es lohnt sich, die Große Elbstraße weiter entlang zu gehen, vorbei an der Fischauktionshalle, dem alten Fischmarkt mit seinen neuen Häusern im postmodernen Zuckerbäckerstil bis hin zu der Stelle, wo die Straße wirklich Hafenstraße heißt und die seit Jahren umkämpften Häuser stehen. Dort ist ein ganz und gar unrealistisches Gemälde zu bewundern: ein Gemisch aus Phantasie, Provokation und Albernheiten, an dem ständig herumgebastelt wird. Zugegeben, die Parolen sind zum Teil geschmacklos und blöde, doch bei dem Bild verrenkt sich niemand nur den Hals. Der schrille Protest der GestalterInnen verfehlt kaum je seine Wirkung. Hier geht niemand vorbei, ohne nicht wenigstens einen Kommentar abzugeben, sei er zustimmend oder wütend.

Das Buch zum Bild: ...nicht nur Galionsfigur - Frauen berichten von ihrer Arbeit im Hamburger Hafen, herausgegeben vom Frauenarbeitskreis „Wandbild - Frauenarbeit im Hamburger Hafen“ und Museum der Arbeit. Ergebnisse-Verlag Hamburg, 35 Mark