Farthmann: „Unsere Strategie wird kurz und klein geredet“

Der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag und Mitglied des SPD-Bundesvorstands nennt die rot-grünen Sommergespräche ein „absurdes Theater“ / Der sozialdemokratische Traditionalist will eine Koalition mit den Grünen aber auch nicht ausschließen / Für die NRW-Landtagswahl zielt Farthmanns Strategie auf die absolute Mehrheit  ■ I N T E R V I E W

taz: Wovor haben Sie Angst?

Friedhelm Farthmann: Ich habe Angst davor, daß der Eindruck entsteht, wir strebten Koalitionen an, die wir gar nicht nötig haben. Vor der Bundestagswahl haben wir mindestens drei Landtagswahlen, bei denen eine absolute Mehrheit der SPD möglich, in zweien sogar wahrscheinlich ist.

Es ging um Gespräche auf Bundesebene. Da ist die absolute Mehrheit für die SPD unerreichbar. Wenn es zu einer Ablösung der jetzigen Koalition kommen soll, sind Sie doch ausgenommen bei einer großen Koalition - auf die Grünen angewiesen.

Ich teile leider Ihre Einschätzung, daß eine absolute Mehrheit auf der Bundesebene nicht sehr wahrscheinlich ist, trotz des verheerenden Eindrucks, den die CDU macht. Auf irgendeine Art Koalition wird es deshalb wohl hinauslaufen. Es hat auch allen Anschein, daß die Grünen dann zu den möglichen Koalitionspartnern dazugehören. Dagegen hab‘ ich auch gar nichts. Aber da warte ich doch erst einmal die Wahl ab. Jetzt darüber zu reden, ist wirklich absurdes Theater.

Eine erfolgreiche Koalition mit den Grünen kann man doch nicht auf leisen Sohlen erreichen. So bekommt man vielleicht eine Mehrheit im Parlament, aber nicht in der Gesellschaft. Mit diesem Problem sind doch die Berliner Koalitionäre konfrontiert.

Da haben Sie recht. Ich möchte auch so eine Berliner Situation nicht wiederholt sehen. Vor der Wahl eine Koalition auszuschließen und sie nach den Wahlen dann doch zu machen, ist ein ganz schlimmes Verhalten gegenüber den Wählern. Ich bin ja nicht dafür, daß wir eine Koalition mit den Grünen auf Bundesebene ausschließen. Selbstverständlich kann eine Koalition mit den Grünen gemacht werden, wenn es die Mehrheiten dafür gibt und sich die Beteiligten einig werden, aber über die Verteilung des Felles redet man, wenn der Bär erlegt ist, und nicht vorher. Wenn ich das vorher mache, dann suggeriere ich den SPD-Wählern, die zwischen den Grünen und der SPD schwanken, doch gleich zu den Grünen zu marschieren, weil ich ihnen sage, mit denen mache ich es sowieso. Das ist doch das Fatale.

Aber spätestens nach Berlin wissen die doch, daß die SPD im Zweifelsfall etwas mit den Grünen zusammenmacht.

Deswegen ist es doch um so weniger nötig, die auch noch hochzureden. Ich weiß doch noch gar nicht, ob die von den Bundesbürgern überhaupt wieder in den Bundestag geschickt werden.

Sie wollen im SPD-Bundesvorstand beantragen, die rot-grünen Gespräche zu unterbinden. Wie wollen Sie das durchsetzen?

Das bitte ich nicht so formal zu sehen. Ich werde energisch dafür eintreten, daß im Bundesvorstand Einvernehmen darüber erzielt wird, daß solche Gespräche nicht mehr geführt werden. Ich bin der letzte, der irgend etwas gegen Gespräche über Parteigrenzen hinweg hätte, aber ich wehre mich dagegen, daß der Eindruck erweckt wird, als ob das Koalitionsverhandlungen sind, und daß uns so ein Multitalent auch noch erklärt, die Koalitionsvorbereitung sei auch beabsichtigt.

Sie meinen Peter von Oertzen?

Den Schuh kann sich jeder anziehen, der glaubt, er passe ihm. Der Punkt ist doch: Wir sind hier in NRW angetreten mit dem Anspruch und dem Versprechen, hier stabile Verhältnisse zu garantieren, wenn die Menschen uns wählen. Zweimal haben wir die absolute Mehrheit gewonnen. Diese hervorragende Zustimmung lassen wir uns doch nicht durch dieses Bonner Sommertheater kaputt machen. Unsere Strategie wird doch auf diese Weise kurz und klein geredet.

Sie haben davon gesprochen, daß für normale SPD-Wähler der Aufstieg der Grünen in staatliche Führungsämter mit einem „Kulturschock“ verbunden sei. Einer SPD, die zu nahe mit den Grünen in Verbindung gebracht würde, gingen diese Menschen verloren ...

... Ich habe nicht von normalen Bürgern gesprochen, sondern ich habe gesagt, für viele unserer angestammten Wähler, gerade in der Arbeiterschaft, sind Vertreter der Grünen in Erscheinung getreten oder so dargestellt worden, als ob das sozusagen eine abnorme Entwicklung in unserer Gesellschaft wäre. Wenn die jetzt in Amt und Würden gelangen, ist das für viele Arbeitnehmer schwer nachzuvollziehen. Ich mache mir das ja nicht zu eigen. Vielleicht werden die Bürger in 20 Jahren wissen, daß Schlips und Kragen kein Zeichen für Intelligenz sind und daß man in Turnschuhen und Jeans ebenfalls kluge Leute trifft. Von mir aus kann sich jeder kleiden, wie er Lust hat, aber daß der Ausdifferenzierungsprozeß in den Lebensstilen heute auf viele biedere Bürger kulturschockartige Wirkungen hat, muß man doch sehen. Weil wir ja wissen, daß auch ein Teil unserer Wählerschaft zu den Republikanern neigt, müssen wir doch nicht noch selbst dazu beitragen, es diesen Wählern zu erschweren, sich mit uns identifizieren zu können.

Gefährden die Republikaner nicht sogar die absolute Mehrheit?

Ich glaube, es gibt für uns ein Mehrheitspotential in NRW selbst für den Fall, daß die Republikaner in den Landtag einziehen, was Gott verhüten möge. Bisher hat der Wähler für die politische Stabilität votiert und die werden wir auch diesmal garantieren. Wir haben immer auch die Wähler gewinnen können, die sehr bodenständig fühlen, die auf bestimmte bürgerliche Konventionen Wert legen. Die haben sich bei der SPD in NRW immer eher heimisch gefühlt als in anderen Landesverbänden. Dazu stehe ich auch, darüber bin ich auch froh.

Welchen Eindruck haben Sie denn persönlich von der rot -grünen Senatsriege in Berlin und ihrer Politik.

Ich will gerne zugeben, daß das bisher sehr viel besser gelaufen ist als ich erwartet habe und daß der Senat bisher eine sehr ansehnliche Leistung erbracht hat. Wenn das so weitergeht, wird sich der Bürger daran auch gewöhnen.

Interview: Walter Jakobs