Darf Brecht, was Kohl und Reagan durften?

■ Streit um szenische Aufführung der Legende vom toten Soldaten auf dem Bitburger Friedhof

Die Bilder gingen um die Welt: Auf einem kleinen Friedhof in der Eifel reichen sich zwei Männer über den Gräbern von SS -Soldaten pathetisch die Hände, um - genau 40 Jahre nach Kriegsende - die „Versöhnung“ zwischen ihren Völkern zu besiegeln. Der Auftritt des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan auf dem Bitburger „Ehrenfriedhof Kolmeshöhe“ brachte dem Eifelstädtchen Schlagzeilen in der Weltpresse, Bitburg avancierte über Nacht zum Synonym für die deutsche Nazi -Vergangenheit und die Unfähigkeit, damit umzugehen. Jetzt, vier Jahre nach der peinlichen Inszenierung, will die Tochter Bertolt Brechts, Hanne Hiob, an diesem Ort nachholen, was ihr damals untersagt worden ist: die Aufführung eines Gedichts ihres Vaters. Am 2.September soll auf dem symbolträchtigen Friedhof Brechts Legende vom Toten Soldaten in einer Art szenischen Theaters aufgeführt und von Hanne Hiob rezitiert werden. Doch um die Erlaubnis dafür gibt es Ärger. Die vieldiskutierte Frage lautet: Darf Brecht, was Kohl und Reagan durften, nämlich die Todesruhe des Friedhofs durchbrechen, oder verletzt das Brecht-Stück die „Würde des Ortes“, wie 1985 die Begründung des Aufführungsverbots lautete?

In seinem 1923 entstandenen Gedicht erzählt der damals 20jährige Brecht die Geschichte eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, der - bereits tot - von einer militärärztlichen Kommission ausgegraben, „kriegsverwendungsfähig“ gemustert und anschließend von einer düsteren Allianz aus Kirche, Bürgertum und Militär erneut in den Krieg geschickt wird. Schon die Nazis begründeten Brechts Bannung mit diesem Gedicht. Begründung damals: Der junge Dichter verhöhne in der „Legende“ die Soldaten des Ersten Weltkriegs. Bitburg soll nur eine Station für die Aufführung sein: In diesen Tagen wird auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs im französischen Verdun „der Soldat des Ersten Krieges“ ausgegraben, in Bitburg soll dann - frei nach Brecht - ein Soldat in Wehrmachtsuniform ans Tageslicht geholt werden und anschließend ins Rhein-Städtchen Andernach (dem ersten Standort einer Bundeswehrkaserne) gebracht werden, wo er in ungebrochener Tradition - eine Bundeswehruniform verpaßt bekommt. In Bonn schließlich soll, dem Szenario des Münchener Regisseurs Schmitz-Bender zufolge, der Soldat endgültig begraben werden, nicht ohne vorher jedoch einen Schwur abgelegt zu haben, nie wieder in einen Krieg ziehen zu wollen.

Während für alle anderen Etappen der „Friedenstournee“ bereits grünes Licht gegeben worden sei, stellt sich Bitburg quer, hat bislang aber noch nicht entschieden, ob sie die Erlaubnis zur „Sondernutzung“ des Friedhofs erteilen soll. Während Bürgermeister Büttner (CDU) dagegen ist, rätselt man in der Verwaltung eher pragmatisch darüber, wie die ganze Angelegenheit ohne großes Aufsehen über die Bühne zu bringen ist: „Auf keinen Fall wollen wir wieder so ein Drama wie 1985 erleben.“

Da hätten, so ein Amtmann, US-Journalisten Blumengebinde um die SS-Gräber drapiert, um sie dann abzufilmen. „Das hat den Ruf Bitburgs in der Welt ruiniert“, meint er allen Ernstes. Besonders pikant ist die Angelegenheit für die Eifeler auch deshalb, weil eine Reihe prominenter Zeitgenossen gerade den Bitburger Part des Spektakels demonstrativ öffentlich unterstützt, darunter Ex-Verfassungsrichter Martin Hirsch, Pfarrer Heinrich Albertz und der Regisseur Volker Schlöndorff. Angesichts der massiv aufgebotenen Prominenz signalisiert die Stadt mittlerweile Gesprächsbereitschaft. Wie die Stadt aber auch entscheidet, sie steckt in einem Dilemma, denn stimmt sie nicht zu, hat sie einen bundesweiten Eklat, stimmt sie aber zu, erleidet sie wahrscheinlich eine juristische Niederlage. Vor einem Trierer Gericht ist nämlich immer noch ein Verfahren wegen des 1985 verfügten Aufführungsverbotes anhängig, und bei einer Erlaubnis 1989 wäre die Begründung von 1985 („nicht mit der Würde des Ortes vereinbar“) wohl kaum zu halten.

Thomas Krumenacker