Swinging Metropolis

■ 38.BombenStimmung

Mal kurz was zum Kopf, also dem Emblem, zur Dame da oben links, grafikterminologisch eben zum Logo: Anläßlich Paul Linckes 75.Geburtstag gelangt seine Frau Luna zur Aufführung, im KdF-Betrieb „Theater des Volkes“, besser bekannt als Großes Schauspielhaus. Und wie es der 1941er Zeitgeist gebietet, doktert man ein wenig daran herum. Unter anderem so: Lämmerhirt, aufhältig auf dem Monde, stellt beim Blick ins All fest, wie groß doch Deutschland sei. Steppke kommentiert: „Warte nur, bis wir zurückkommen, ist es noch größer!“

Im Rahmen der Feierlichkeiten wird der greise Kompositeur auch gleich als Vorkämpfer des „Dritten Reiches“ zurechtgeschnitzt: „Wer Meister Lincke als bekennenden Patrioten sehen will, der schaue auf seine Militärmärsche und soldatischen Lieder wie 'Deutsche Meereswacht‘ oder 'Der Landwehrmann‘, die schon früher in ernster Zeit Licht und Kraft ins deutsche Herz brachten.“ Nachmittags beginnt die Festivität in der Plaza, dem ScalaAbleger von 1929. Grock& Hanussen wirkten hier; nun ist die Venus auf Erden mal wieder fällig, mit einem Amor, der/die bald mit Rudolf Prack durch Flora&Fauna geistern wird: Sonja Ziemann. Schließlich bekommt Lincke die Berliner Ehrenkette nebst GoetheMedaille, und weil die Herrschaften ein so ausgeprägtes Verhältnis zur Leichenentsorgung haben - en masse&en detail - spendieren sie gleich noch das Anrecht auf eine freie Grabstelle innerhalb des Stadtgebietes.

Lang dauerts nicht mehr, bis Lichter flackern, Scheiben klirren, die Erde bebt. Vielfach findet die Situation in Volksmund&Schlager ihren bombigen Widerhall: Liebe, während Haß vom Himmel fällt: „Haben sie schon mal im Dunkeln geküßt?“ Von der verdunkelten Wohnung in den Keller und nach Entwarnung zurück. „Alles nach oben!“ wird aufs Haupthaar umgemünzt. Daß dieses zu Berge steht, dafür gibts Gründe genug; präventiv bindets die Damenwelt hoch, kreiert so die „Entwarnungsfrisur“.

Als nimmermüde Informationsquelle sprudelt der Sicherheitsdienst durchs Chaos. In Sorge wegen gewisser „Auflockerungen in der Bevölkerung“ verbreitet sein Bericht vom 8.Juli 1943 sogar lautstarke Flüsterwitze: „Offenbar setze man gegenseitig voraus, daß einer heute schon jeden Witz erzählen könne, ohne mit energischer Abfuhr, geschweige denn Anzeigen bei der Polizei rechnen zu müssen. Das Gefühl dafür, daß das Anhören und Weitererzählen politischer Witze eines gewissen Schlages für den anständigen Deutschen und Nationalsozialisten einfach eine Unmöglichkeit ist, sei weiten Kreisen der Bevölkerung und auch einem Teil der Parteigenossenschaft offenbar abhanden gekommen. Witze der folgenden Art wurden aus dem ganzen Reichsgebiet gemeldet und sind sehr verbreitet: 'Nächstens gibt es mehr Butter, weil die Führerbilder entrahmt werden.‘ 'Zarah Leander wurde ins Führerhauptquartier verpflichtet. Sie muß dem Führer vorsingen: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.'“

Feste gekichert darob wird sicher auch in der Wehrmacht, denn - so absurd sichs anhören mag - hier herrschen erstaunliche politische Freiräume. So ruht während der Dienstzeit die Mitgliedschaft in der NSDAP; erst Mitte '44, auf dem letzten Drücker, wird der Hitlergruß Vorschrift. Daraus erklärt sich zum Beispiel, daß Gustav Gründgens umstritten damals so rum, heute andersrum - sich in die Rolle des einfachen Soldaten flüchtet. Auch Werner Finck, dem gewiß keiner Kriegsgelüste vorwerfen will, tritt die „Flucht zur Fahne“ an. Und während weder Sozialdemokraten noch Kommunisten nennenswerter Widerstand gelingt, organisieren sich bezeichnenderweise die bürgerlichen Offiziere gegen Hitler.

Doch an der Front wie im hauptstädtischen Herz der verblutenden faschistischen Monstrosität lechzen die Leut nach Abwechslung. Wahre Kinosucht bricht aus: nur raus aus Elend&Trümmern, rin in den Illusionsbunker zu Röck&Rühmann, Horney&Heesters, La Jana&Lingen. Ende '43 besitzen 400.000 Berliner keine Wohnung mehr, 68.000 Häuser sind zerstört. In solchem Moment Filme gucken, überhaupt welche drehen? Das erzürnt den aufrechten Volksgenossen, sowie später den Pauschalkritiker des sogenannten „Durchhaltefilms“. Allerdings aus entgegengesetzten Gründen. Erneut der SD -Bericht zitiert einen empörten Arbeiter: „Ich verstehe nicht, wie keine 100Meter von einer Einsturzstelle, an der nach Verschütteten gesucht wird, zahlreiche Volksgenossen nach Kinokarten anstehen können. Man sollte sie besser zu Aufräumungsarbeiten heranziehen.“

Tja, das war doch im November 1940 noch was anderes, als „sich nach der Aufführung des Films Jud Süß ein Menschenauflauf (bildete), der durch die Straßen des Zentrums zog und in Sprechchören forderte: Verjagt die Juden vom Kurfürstendamm - Juden raus aus Deutschland“. Zur Musik, die diesmal gar nicht swingt, Mauraus Pacher: “...Haß, Kampfes- und Durchhaltewillen schüren ganz andere Musiken. Da gibt es zum niederträchtigen 'Jud Süß‘ von Veit Harlan die nicht minder niederträchtige Untermalungsmusik von Wolfgang Zeller, die 'talmudische‘ Melismen ekelerregend einfärbt und gegen arisch 'blonde‘ Tugend-Musik setzt. (Zeller wird 1947, als ob nichts gewesen wäre, von derDefa für Ehe im Schatten eingesetzt, einem Film über Joachim Gottschalk, der in auswegloser Lage mit seiner jüdischen Frau und seinem Sohn Selbstmord beging.)“

Derweil nimmt das Orchester Heinz Burzynski - verständlich dem Eingeweihten - ein Instrumentalstück von Ernst van't Hoff auf: „Alles wird gut“.

Norbert Tefelski