Hollywood in Sorge

■ Einführung einer europäischen Fernsehproduktionsquote gefährdet Milliardengeschäft / US-Produzenten contra EG-Richtlinien

Als Italiens Fernsehmagnat Silvio Berlusconi in den siebziger Jahren Hollywood nach geeigneten Produktionen für seine Sender abgrasen ließ, zahlte er für einen dreißigminütigen Serienteil 500 Dollar. Seine Branchenkollegen legen heute für die Rechte an einer „Denver„-Folge bereits 70.000 Dollar auf den Tisch. Insgesamt werden europäische Fernsehanstalten dieses Jahr einen Betrag von über einer Milliarde Dollar in die Kassen amerikanischer Produzenten fließen lassen. Und während diese damals die Einnahmen aus Europa mehr oder weniger wie ein Trinkgeld einsteckten, ist die Film- und Fernsehindustrie in den USA inzwischen vom Markt in Übersee fast abhängig.

Nach der Erweiterung der europäischen Fernsehlandschaft durch Privatsender ließ die Aussicht auf den großen Einnahme -Brocken durch Verkauf nach Europa den Produzenten in Hollywood das Wasser im Mund zusammenlaufen. Während der letzten sechs Jahre hat sich die Sendezeit europäischer Anstalten verdoppelt, das gleiche wird bis 1995 erwartet. Stationen von Mainz bis Madrid waren wild auf US-Programme. Wenn auch Scherze und Situationen nicht immer international verständlich waren, so überzeugte doch die Professionalität der Amerikaner. Auch die Preise lagen in vielen Fällen unter den Herstellungskosten für europäische Film- und Fernsehwerke. Mit den europäischen Zusatzeinnahmen konnte man in den USA Defizite aus heimischen Geschäften decken.

Nun bleibt den amerikanischen Produzenten vor Schrecken der Bissen im Halse stecken, wenn sie an die mögliche Quotierung amerikanischer Beiträge denken, wie sie eines Tages durch EG -Richtlinien festgelegt werden könnte.

Fernsehen ohne Grenzen

Seit Jahren wird unter dem Stichwort „europäischer Binnenmarkt 1992“ nicht nur über Butterberge, Milchseen, Obsthalden und Stahlquoten nachgedacht, sondern auch über europäische Produktionsquoten für Fernsehprogramme. Seit Beginn der achtziger Jahre bastelt die EG-Kommission an Grün - und Weißbüchern zur Errichtung eines „Fernsehens ohne Grenzen“. Ein Faktor bei der „Europäisierung des Rundfunks“ ist das Voranschreiten neuer Technologien wie Breitbandkabel, Fernmeldesatelliten, direktempfangbare Rundfunksatelliten (DBS), digitale Informationsnetze oder hochauflösendes Fernsehen (HDTV). Ein anderer Aspekt ist die Entstehung eines der größten Fernseh- und Werbemärkte um etwa 120 Millionen Haushalte, der zunehmend ins Blickfeld europäischer und US-Konzerne gerät, weil der Handel mit Film - und Fernsehprogrammen sich weltweit zu einem immer bedeutenderen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Deshalb empfahlen die EG-Rundfunkrichtlinien von 1986 neben einer Begrenzung des Werbeumfangs, eines Verbots für Tabak- sowie Einschränkungen für Alkohol-Reklame, Jugendschutz - und Urheberrechtsbestimmungen auch die Einführung einer europäischen Produktionsquote (anfangs 30, später 60 Prozent) für die Fernsehanstalten.

Hollywood hofiert die hiesigen Fernsehanstalten

Hollywoods Produzenten sind sich darin einig, daß ein Gesetz der EG zur Beschränkung amerikanischer Sendebeiträge keinesfalls zustandekommen darf. Gemeinsam machen die US -Produzenten den Entscheidungsträgern in den europäischen Fernsehanstalten den Hof, die - so glauben sie amerikanischem Zukauf auch gar nicht so abgeneigt seien. Sie sehen eher europäische Produzenten, Regisseure, Schauspieler und Drehbuchautoren als Konkurrenz und fürchten deren günstigere Herstellungskosten durch staatliche Finanzierungshilfen. Unter solchen Bedingungen - geschützt durch die Quoten für US-Programme - könnten sich europäische Studios besser als bisher entwickeln und langfristig die Übermacht Hollywoods gefährden.

Jetzt sucht man in den USA nach Auswegen und denkt an Niederlassungen in Europa, deren Produktionen nicht durch das „Made in USA“ aus dem Rennen geworfen werden. Dreharbeiten in Europa sind manchmal sowieso billiger.

Ganz mißtrauische Beobachter vermuten sogar sozialistische Elemente hinter der Forderung nach Beschränkung von US -Sendungen im europäischen Fernsehen: linke Journalisten und Filmemacher, die Politiker und Fernsehchefs auf ihre Seite ziehen wollten. Am verdächtigsten ist Frankreich, wo es schon Quotierungen für amerikanische Programmbeiträge gibt. Nicht ganz neu, dieses Gefühl, aber doch ganz anders als die Angst der fünfziger Jahre vor einer kommunistischen Unterwanderung.

EG-Richtlinien in der Schwebe

Die geplante EG-Richtlinie zur Beschränkung amerikanischer Fernseh-Produktionen ist jedoch seit Monaten in der Schwebe. Zunächst wollten die EG-Staaten sich auf eine unverbindliche Formel ohne feste Quoten einigen: Danach sollte die Mehrheit der Fernseh-Programme nach Möglichkeit mit europäischen Produktionen bestritten werden. Bei der endgültigen Verabschiedung tauchten dann aber neue Probleme auf. Die Deutschen wollten nur zustimmen, wenn festgehalten wird, daß dies nur eine politische, nicht aber eine rechtlich einklagbare Bestimmung ist. Zudem zogen die Niederlande ihre frühere Unterstützung zurück, schließlich wollte Frankreich doch wieder feste Quoten haben. Da der für Binnenmarktfragen zuständige EG-Ministerrat nicht weiterkam, befaßten sich am 17.Juli die EG-Außenminister mit dem Vorhaben - aber ebenfalls ohne Ergebnis.

Das Problem steht obendrein vor dem Hintergrund der technischen Neuerung des „hochauflösenden Fernsehens“ (HDTV). Die USA haben noch nicht entschieden, ob sie die japanische oder die europäische Norm übernehmen wollen. Von daher hat es auch sein Gutes, daß die EG-Fernsehrichtlinie einstweilen auf Eis liegt: Eine Verabschiedung würde Amerikaner verdrießen und die Chancen der Europäer mit ihrer HDTV-Norm nicht gerade verbessern.

dpa/taz