Die Kunst der Verführung

■ Über Hintergründe und Abgründe der Schokolade

Klaus Jans

Endlich mal etwas zum Riechen, Schmecken, Fühlen und Träumen - eine Ausstellung so ganz nach dem Geschmack populistisch gesinnter Zeitgeister. Kulturgeschichte der Schokolade, so lautet der hochtrabende Titel der über eine Million Mark teuren Schau über die 150jährige Geschichte des Kölner Schokoladenimperiums Stollwerck. Im Jahre 1839 hat alles begonnen, sagt man. Damals war es nur eine Mürbebäckerei mit angeschlossener Bonbonherstellung, die ein gewisser Franz Stollwerck im Schatten des (noch nicht fertiggestellten) Doms eröffnete. Größter Renner des schnell expandierenden Unternehmens wurden die zu jenen Zeiten sehr beliebten Brustbonbons, die man bald auch in ferneren Regionen verkaufte. Den eigentlichen Aufstieg zum Weltschokoladenkonzern schufen allerdings erst seine fünf Söhne - mit Zweigwerken in Berlin, Wien, Preßburg (Bratislava), London und auch in den USA.

Vielleicht hat dieser Hintergrund den heutigen Stollwerck -Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Imhoff dazu inspiriert, eine solch ausufernde Selbstdarstellung des Konzerns zu inszenieren. Das Ganze soll, so ließ der umtriebige und umstrittene 67jährige dieser Tage verlauten, der Probelauf für ein noch zu errichtendes Schokoladenmuseum sein. Imhoff, seines Zeichens auch Honorarkonsul der Republik Togo in Nordrhein-Westfalen, hat sich Anfang der siebziger Jahre mit tatkräftiger Hilfe der Deutschan Bank in den zu der Zeit maroden Stollwerck-Konzern eingekauft, um ihn dann zum Flaggschiff einer Holding mit Marken „Alpia“ oder „Sprengel“ zu machen. Die Sanierung beinhaltete als gelungenen Coup auch den Verkauf des alten Areals in der Kölner Südstadt an die Stadtväter, um dann mit weiteren Steuermillionen das Unternehmen auf die andere, die „schäl Sick“ des Rheins zu verlagern. Der Streit um die zurückgelassenen Gebäude führte im Severinsviertel zu heftigen Auseinandersetzungen, die mit einer mehrwöchigen Fabrikbesetzung und dem späteren Abriß fast der gesamten Bausubstanz endeten. Dieser Teil der Schokoladensaga kommt allerdings in der mit viel Getöse inszenierten Ausstellung (wie vieles andere) überhaupt nicht zur Sprache.

Die Geschichte des Kakaos ist kein beschaulicher Nachmittagsspaziergang, sondern der Diebstahl einer hohen Kultur. Die Azteken bauten den Kakaobaum schon seit dem zwölften Jahrhundert an und verehrten ihn als Heiligtum. Sie nutzten die Bohnen als Zahlungsmittel, erforschten die heilenden Kräfte des zerriebenen Pulvers und mixten ein braunes Getränk (xocotatlbitteres Wasser). Der spanische Eroberer und Mordbrenner Hernan Cortez brachte den Trank Anfang des 16.Jahrhunderts nach Europa, wo er sich (mit Vanille oder Honig versetzt) sehr langsam durchsetzte. Dann aber sprengte das zu Höchstpreisen gehandelte Getränk - es war teurer als Tee oder Kaffee - seine Ketten und hielt im 17.Jahrhundert Einzug in die Salons der königlichen Höfe. Der Genuß der Trinkschokolade bekam einen so elitären Hauch, daß sich Preußenkönig Friedrich der Große sogar gezwungen sah, die Einfuhr angesichts einer darbenden Bevölkerung zu verbieten. Pikanterweise ist gerade die Kakaobohne eine Nahrungsquelle ohnegleichen, mit sehr hohem Fettgehalt (über 50 Prozent), Eiweiß, Stärke und einem Muntermacherkonzentrat: Theobromin.

Ihren Siegeszug konnte die Block-/Speise-/Schmelz -/Überzugsschokolade jedoch erst antreten, als sich auch die industrielle Massenproduktion Geltung verschaffte. Stollwercks Beitrag zum technischen Fortschritt war (mit Ausnahme eines Walzstuhlpatents aus dem Jahre 1873) wohl eher gering. Weder errichtete man die erste deutsche Fabrik (was schon 1756 in Steinhude geschah), noch entwickelte man das noch heute bekannte Kakaopulver (was 1828 dem Holländer van Houten gelang). Auch die gern gegessene Milchschokolade entstammt anderen Erfinderhänden, nämlich denen des Schweizern Daniel Peter, der mit einem Chemiker namens Nestle zusammengearbeitet haben soll.

Trotzdem wird gerade die Industrieproduktion in den Mittelpunkt der Kölner Stollwerck-Ausstellung gestellt - ein mutiger Schritt. So stehen da ein gutes Dutzend weißgekleideter ArbeiterInnen an einer echten Pralinenstraße. Nicht wie sonst in der Fabrik, sondern hinter Glas vor Besucheraugen dürfen sie Trüffel oder Jubiläumsschokolade produzieren. Das hat Geschichte: Immerhin wurde bei Stollwerck schon 1866 die Schaufensterproduktion als Werbeidee verwirklicht.

Der eigentliche Beitrag der fünf Stollwerck-Brüder zur Geschichte der süßbraunen Masse dürfte jedoch ein anderer gewesen sein: die massenhafte Verbreitung. Stollwerck, das war gleichbedeutend mit dem Einbruch der Schokolade in die Sphäre der kleinen Leute. Dazu wurden die vielfältigsten Distributionsideen entwickelt bzw. konsequent angewandt. So erkannte Ludwig Stollwerck sehr schnell den Segen der aufkommenden „Verkaufsmaschinen“ und brachte die Schokolade mit den Automaten sowohl in Bahnhofshallen als auch in kleinste Dörfer. Allein in New York sollen 1897 rund 4.000 dieser beinahe sagenumwobenen Geräte gestanden haben. Eine eigens gegründete Automatengesellschaft, die sich auch anderen Produkten wie Seife oder Zündhölzern zuwandte, trug entscheidend zu Umsatzsteigerungen bei. Die Stollwercks bauten regelrechte Automatenhallen und Automatenrestaurants.

Es gab noch weitere Stollwerck-Extravaganzen. So arbeitete man mit dem berühmten Erfinder Thomas Alva Edison zusammen. Das führte nicht nur zur Entwicklung des Diktierphonographen, sondern auch zur Pressung von heißgeliebten Schokoladenplatten, die man - welch große Attraktion auf den Weihnachtsmärkten - sogar regelrecht abspielen konnte. Auf der internationalen Weltausstellung in Chicago 1893 ließ man sogar eine zwölf Meter hohe Germania aus echter Schokolade errichten, die, in einem klassizistischen Marmortempel stehend, das Publikum zum Staunen bringen sollte. Weiter: Wer weiß schon, daß die Firma seit den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts planmäßig Frauen in die Produktion holte, weil die Frau - so die firmeneigene Geschichtsschreibung aus dem Jahr 1939 als „Hauptverbraucherin von Süßigkeiten“ galt und man ihr eine „feinere Handfertigkeit“ zusprach? Leider marschiert die Ausstellung über solcherlei Besonderheiten der Geschichte ignorant hinweg.

Die vermeintliche Beziehung von Frau und Schokolade wurde von den Stollwerck-Brüdern auch in einem ganz anderen Metier konsequent genutzt: der Werbung. Schon ihr Vater und Firmengründer Franz hatte den Vertriebsfortschritt, der in den aufkommenden Zeitschrifteninseraten lag, erkannt und überdurchschnittlich hohe Summen darin investiert. Seine Söhne wurden dann zu den ersten Fabrikanten, die zur Jahrhundertwende auch die „inneren Werte“ eines Produktes entdeckten und für die Vermarktung nutzten. Die Image -Bildung geschah über die malerische Darsellung einer „Chocoladenjungfer“ oder eines weiblichen „Cacaopagen“, die, mit einem Tablett ausgestattet, warm von den Plakaten herabguckten. In der Werbung gab es eben kaum einen Pfad, der nicht beschritten wurde. Die ersten Fesselballons und Luftschiffe trugen den allseits bekannten Stollwerck -Schriftzug durch die Lüfte. Bunt bemalte Dosen verzierten die Glasvitrinen, und Bilderserien in hohen Auflagen stürzten ganze Familien in die Sammelwut. Kulturgeschichte, das sind eben auch die gedruckten Malereien, die den Tafeln und Pralinenschachteln beigepackt waren. Stollwerck schrieb eigens für diesen Zweck einen Kunstpreis aus und war sich nicht zu schade, hohe Summen in den Ankauf von Liebermann -Gemälden oder Modersohn-Malereien zu investieren. Adolf Menzel soll für eine Zeichenserie über die preußische Armee sogar 120.000 Mark bekommen haben.

„Bei der Geschichte von Stollwerck geht es um weit mehr als Schokolade“, betont denn auch der ehemalige Werksarchivar Dr.Vaclav Hepner, der mittlerweile an einem Drehbuch über die verzwickte und interessante Familienhistorie arbeitet. Nach seinen Angaben hat der frankophile Firmengründer Franz Stollwerck im Jahre 1847 ein Cafe Royal nebst angeschlossenem Vaudevilletheater eröffnet, das in Köln zu einem wichtigen Treffpunkt der demokratischen Bewegung werden sollte. Auch Karl Marx muß des öfteren in seiner Kölner Zeit bei der 'Neuen Rheinischen Zeitung‘ dort gesessen haben.

Eine Kulturgeschichte der Schokolade müßte allein im Fall Stollwerck so manche dunkle Stelle ausleuchten. Wie verhält es sich mit dem deutsch-französischen Krieg, der die Strollwercks angeblich zum Schokoladen- und Keksgeneralausstatter der preußischen Armee machte und so die Umsätze hochtrieb? Wie kam es, daß das Unternehmen die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise nicht verkraftete - und in die Hände der Stadt Köln und der Deutschen Bank (!) überging? Und wie gelang es der Firma schließlich, 1937 als erstes Unternehmen des Gaus Köln-Aachen zum nationalsozialistschen Musterbetrieb erklärt zu werden?

Schokolade, das ist auch der Aufstieg der heimischen Zuckerindustrie und die Ausbreitugng von Rübenfeldern am Niederrhein. Das ist die Bildung von Kartellen und die Gründung von Kakaoeinkaufsgemeinschaften. Das sind Herstellerverbände und der Kampf um ein Reinheitsgebot. Scholokade, das ist ein Teilstück der gigantischen Ungerechtigkeit von Rohstoffpreisen und Monokulturen und damit der Armut der Dritten beziehungsweise Vierten Welt: Als die Portugiesen angesichts steigender Kakaonachfrage die Pflanze in ihre afrikanischen Kolonien brachten (heute ist Afrika Hauptanbaugebiet), regte auch die Firma Stollwerck an, Kakao in den deutschen Kolonien anzubauen. So entstand dann die „Westafrikanische Pflanzungsgesellschaft Victoria“ in Kamerun und eine Stollwerck-Tafel, die den Aufdruck trug: „Deutsche Kolonialschokolade - hergestellt unter ausschließlicher Verwendung von Kakaobohnen deutscher Kolonien“. (Randbemerkung: Der 1914 zum ersten Mal aufgetauchte Sarotti-Mohr scheint die ideale Versinnbildlichung dieser Ausplünderung. Nach Einschätzung der Ausstellungsmacher suggeriert er jedoch lediglich „gleichermaßen Luxus und Exotik“.)

Die Ausstellung ist bis zum 20.August täglich von 10 bis 18 Uhr im Kölner Gürzenich bei freiem Eintritt geöffnet.